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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Wachtmeister schon die Finger, er hielt aus (dunkel fühlte er, hier kam es auf solche Kleinigkeiten an, auf Unbeteiligttun, auch wenn man sich die Finger verbrennt), endlich brannte die Zigarre, Leuenberger spie sittsam Rauchschwaden aus, wie eine wohlerzogene Lokomotive, goss die Gläser voll, schluckte die Salpetersäure und beobachtete dabei den Wachtmeister. »Un homme averti en vaut deux«, dachte Studer und ärgerte sich, dass ihm heute soviel Welsches im Kopf herumspukte. Aber er trank das Zeug gelassen aus, schnalzte dann sogar mit der Zunge, und jetzt war er es, der sagte: »Ein gutes Schnäpslein.« Der Leuenberger beugte sich über den Brief. Er studierte ihn lange und aufmerksam, schob ihn dann zurück. »Ja«, sagte er, »es gibt böse Leute auf dieser Welt.« Wieder das Schweigen. Der Regen pritschelte an die Scheiben, es war ein schmutziges Dämmerlicht im Zimmer. Die Männer rauchten. Wenn nur nicht diese Stille über dem Hof gewesen wäre. Studer fühlte, wie ihn die Gefahr wieder im Rücken bedrohte, darum sagte er, und es klang mehr wie eine nebensächliche Feststellung: »Den Frauen wird's nicht wohl sein in der nassen Erde auf dem Friedhof, bei dem Wetter.«
    »Was gehen mich die Frauen an, mein Grossätti hat sechse begraben.«
    »Die richtige Blaubartfamilie«, sagte der Wachtmeister, und kaum waren die Worte heraus, hätte er sich mit den Fäusten an den Kopf kläpfen können. Solche Dummheiten zu sagen. Aber die Antwort war scheinbar doch richtig gewesen, denn der andere bekam einen sonderbaren Tick in die Mundwinkel, man konnte es gerade noch sehen, die Mundwinkel zitterten. Jetzt nahm Studer die Flasche vom Tisch und goss die Gläser voll, es war gegen die Etikette, er wusste es, aber jetzt scherte er sich den Teufel um die Etikette, er musste den andern teig machen, teig wie eine Birne, die man in der Hand zerquetscht. »Zum Wohl«, sagte er, der Bauer zögerte, dann trank er, und wieder war es Studer, der sich zu bemerken erlaubte: »Ein gutes Schnäpschen.«
    Da stand der Leuenberger auf, drehte das Licht an. Fast hätte der Wachtmeister durch die Zähne gepfiffen, die Augen des andern waren gar nicht mehr steinern, sie schwammen, die Augen, sie waren feucht! Dass er jetzt das Schweigen bewahrte, rechnete sich der Wachtmeister später hoch an, obwohl ... Der Leuenberger setzte sich nicht wieder, mit einer merkwürdig brüchigen Stimme sagte er, er habe draussen noch einen besonders guten Tropfen, ob er den noch holen dürfe? Sonderbar untertänig fragte er dies. Der Wachtmeister nickte. Er tat gut gelaunt, obwohl es ihm plötzlich kotzübel wurde und schwarz vor den Augen. Er biss die Zähne zusammen, schneuzte sich, dass ihm schier der Kopf platzte, »nur jetzt nicht abgehen«, dachte er, »sonst hat das Ganze keinen Sinn gehabt, aufpassen jetzt!« Er schrie es sich innerlich zu. Und es half. Der Leuenberger ging hinaus, er blieb lange fort, der Wachtmeister wäre gern hinausgegangen, um sich zu erleichtern, er hielt aus, wie ein Soldat auf verlorenem Posten.
    Endlich kam der Bauer wieder ins Zimmer. Er hielt eine kleine Flasche in der Hand, sie war verstaubt. Aber sie war schon entkorkt; der Bauer hielt sogar noch den Pfropfenzieher mit dem Korken daran in der Hand. War es dieser Umstand, der dem Wachtmeister verdächtig vorkam? Erhätte es später nicht sagen können. Aber der Leuenberger machte eine zweite Dummheit, er sagte nämlich: »Ich hab' genug getrunken, probiert ihn allein, Herr.« Jetzt hat er die Farbe verraten, die Farbe der falschen Karte, fast hätte es der Wachtmeister hinausgebrüllt, aber so nahm er nur dem andern die Flasche aus der Hand und den Pfropfenzieher, drehte sorgfältig und langsam den Korken ab, verschloss die Flasche, steckte sie in die Tasche, in dieselbe Tasche, in der er die Toscani trug, und sagte mit ganz neutraler Stimme (jetzt war er wieder der Fahnder-Wachtmeister Studer von Bern, eine Amtsperson): »Die Flasche will ich lieber dem Gerichtschemiker mitbringen.« Einen Augenblick stand der Leuenberger noch kerzengerade, dann hockte er ab, stützte den Kopf auf eine Faust und stierte auf den Tisch.
    »Es war doch nur wegen dem Fliegen können«, sagte er, wie aus einem Traum heraus.
    Der Wachtmeister schwieg. Wollte der da Komödie spielen? Der sollte jetzt ausspucken, und wenn auch keine Zeugen für das Geständnis da waren, jetzt konnte man doch die Exhumation beantragen, jetzt hatte er, der Wachtmeister Studer, doch das richtige As behalten –

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