Erzählungen
begriffen, doch – mochte das nun der Fall sein oder nicht – er schüttelte verzweifelt den Kopf und weigerte sich, seinen Platz am Ringbolzen aufzugeben. Es war unmöglich, zu ihm hinzukommen, die schreckliche Lage gestattete keinen Aufschub, und so überließ ich ihn nach hartem Kampf seinem Schicksal, band mich mit den Stricken, die das Faß an der Gilling festgehalten, an ersteres fest und warf mich ohne weiteres Zögern ins Meer.
Der Erfolg war ganz so, wie ich ihn erhofft hatte. Da ich selbst es bin, der Ihnen diese Geschichte erzählt, da Sie sehen, daß ich tatsächlich das Leben rettete, und da Sie schon wissen, auf welche Weise diese Rettung bewerkstelligt wurde, will ich meine Geschichte schnell zu Ende bringen.
Es mochte etwa eine Stunde vergangen sein, seit ich die Schmack verlassen hatte, als sie, von der ich weit, weit überholt war, schnell hintereinander drei oder vier rasende Umdrehungen machte und – meinen geliebten Bruder mit sich führend – kopfüber und für immer in das Chaos von Gischt hinabstürzte. Das Faß, an dem ich mich festgebunden, hatte kaum die Hälfte des Zwischenraums durchlaufen, der damals, als ich den Sprung tat, das Schiff vom Abgrund trennte, da ging mit dem Strudel eine große Veränderung vor sich. Die Neigung der Seitenwände des ungeheuren Trichters wurde weniger und weniger steil. Die Umdrehungen des Wirbels wurden allmählich langsamer und langsamer. Die Gischt und der Regenbogen verschwanden nach und nach, und der Boden des Schlundes begann sich höher und höher zu heben. Der Himmel war klar, der Wind hatte sich gelegt, und der volle Mond ging strahlend im Westen unter, als ich mich auf der Oberfläche des Meeres fand, angesichts der Küste von Lofoten und über der Stelle, wo der Trichter des Moskoeström gewesen war . Es war die Stunde des Totwassers – aber das Meer rollte infolge des vorangegangenen Sturms noch immer in haushohen Wogen. Ich wurde von der Strömung heftig mitgerissen und die Küste entlang zu den Fischplätzen der anderen getrieben. Ein Boot nahm mich auf. Ich war vor Müdigkeit völlig erschöpft und jetzt, da die Gefahr vorüber, sprachlos in der Erinnerung an ihre Schrecken. Die mich an Bord zogen, waren meine alten Kameraden und täglichen Gefährten, aber sie kannten mich ebenso wenig, wie sie irgendeinen Wanderer aus dem Reich der Schatten gekannt haben würden. Mein Haar, das tags vorher rabenschwarz gewesen, war so weiß, sie Sie es jetzt erblicken. Man sagt auch, mein Gesichtsausdruck habe sich völlig verändert. Ich erzählte ihnen meine Geschichte – man glaubte sie mir nicht. Ich erzähle sie jetzt Ihnen, doch kann ich auch von Ihnen kaum erwarten, daß Sie ihr mehr Glauben schenken als die kühnen Fischer von Lofoten.«
DIE FEENINSEL
The Island of the Fay ()
Nul us enim locus sine genio est. (Servius)
»La musique« – sagt Marmontel in seinen Contes Moreaux , die all unsere Übersetzer beharrlich Moralische Geschichten genannt haben, als wollten sie sich über ihren Inhalt geradezu lustig machen – »La musique est le seul des talents, qui jouisse de lui-même; tous les autres veulent des témoins.« Und es will mir scheinen, als verwechsele hier der Autor den Genuß, angenehme Töne zu hören, mit der Kraft, sie hervorzubringen. Denn die Musik ist ebensowenig wie jedes andere ›Talent‹ im stande, einen reinen Genuß zu gewähren, wenn nicht eine zweite Person ihre Ausführung würdigt; und die Fähigkeit, Wirkungen hervorzubringen, die man auch in der Einsamkeit voll genießt, hat sie ebenfalls mit den anderen ›Talenten‹ gemeinsam. Der Grundgedanke, den Marmontel nicht klar genug ausgedrückt oder dessen letzte Fassung er einer echt französischen Vorliebe für Geistreichelei geopfert hat, ist ohne Zweifel durchaus haltbar: insofern nämlich die höhere Gattung der Musik am besten von uns gewürdigt werden kann, wenn wir ganz allein sind. In dieser Form wird die Behauptung allen denen genehm sein, die die Tonkunst um ihrer selbst, um des geistigen Genusses willen lieben, den die arme Menschheit haben kann, und vielleicht nur diesen einen, der noch mehr als der musikalische durch das Gefühl der Einsamkeit erhöht wird.
Ich meine das Glück, das uns die Betrachtung einer Landschaft gewährt.
In Wahrheit, ja! ein Mensch, der die Herrlichkeit Gottes auf Erden von Angesicht zu Angesicht schauen will, muß sie in der Einsamkeit betrachten. Für mich wenigstens ist jede Gegenwart – nicht nur
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