Erzählungen
der Wind im Kamin, nur eine Maus, die über den Boden gelaufen, oder ein Heimchen, das einmal kurz gezirpt. Ja, sicher hatte der alte Mann versucht, sich mit solchen Vorstellungen zu trösten; doch – es wollte ihm nicht gelingen. Es war vergebens , weil der Tod herannahte und der schwarze Schatten, der ihm vorauseilt, schon um das Opfer war. Und dieser schauerliche, unbemerkbare Schatten bewirkte, daß der alte Mann, obwohl er nichts sah noch hörte, meine Gegenwart im Zimmer fühlte .
Als ich lange Zeit geduldig gewartet hatte, ohne zu hören, ob er sich wieder niedergelegt habe, beschloß ich, die Laterne ein ganz klein wenig zu öffnen. Ich tat es – man kann sich nicht vorstellen, wie behutsam! wie leise! –, bis endlich ein einziger dünner Strahl, schwach wie der Faden eines Spinngewebes, aus dem Spalt drang und auf das Geierauge fiel.
Es stand offen, weit, weit offen; und als ich es sah, stieg eine wilde Wut in mir auf. Ich erkannte es mit vollkommener Deutlichkeit – ein trübes Blau mit einem scheußlichen Schleier darüber, dessen Anblick das Mark in meinen Knochen gerinnen ließ. Doch weiter sah ich nichts von dem Gesicht oder der Gestalt des alten Mannes, denn ich hatte den Strahl unwillkürlich genau auf die eine verdammte Stelle gerichtet.
Ich hatte ja schon angedeutet, daß das, was man fälschlich für Wahnsinn bei mir hält, nur eine verschärfte Empfindlichkeit der Sinne ist. So vernahmen meine Ohren jetzt ein leises, dumpfes, bewegliches Geräusch, wie es vielleicht eine in Wolle gewickelte Uhr hervorbringen würde. Auch diesen Ton kannte ich. Es war das Herzklopfen des alten Mannes. Und es stachelte meine Wut an, wie der Trommelwirbel den Mut der Soldaten.
Doch auch jetzt bezwang ich mich und verhielt mich ruhig. Kaum daß ich atmete! Die Laterne hielt ich regungslos in der Hand und versuchte, wie sicher ich den Strahl auf das Auge des alten Mannes gerichtet halten konnte! Mittlerweile nahm das höllische Pochen seines Herzens immer mehr zu. Es wurde jeden Augenblick schneller und schneller, lauter und lauter. Das Entsetzen des alten Mannes mußte den Höhepunkt erreicht haben. Es wurde lauter, sage ich, jeden Augenblick lauter! – Wird man mich gut verstehen? Ich sagte schon, daß ich nervös sei: ich bin es. Und dieses seltsame Geräusch in der toten, fürchterlichen Stille, die in dem alten Hause zu dieser Nachtstunde herrschte, wirbelte mich in wilden Schrecken. Noch einige weitere Minuten hielt ich an mich, stand ganz still. Aber das Klopfen wurde lauter und lauter. Ich dachte, es müsse das Herz zersprengen. Und nun packte mich eine neue Angst, die Nachbarschaft würde es ebenfalls hören. Da aber war die Stunde des alten Mannes gekommen! Mit einem gellenden Schrei riß ich die Blenden der Laterne auf und sprang ins Zimmer. Er schrie auf – einmal nur! In einem Augenblicke hatte ich ihn aus dem Bette auf den Boden gerissen und das schwere Bettzeug über ihn gezogen. Dann lächelte ich vergnügt, daß ich die Tat so weit vollbracht hatte. Aber das Herz schlug noch ein paar Minuten lang mit dumpfem Ton fort. Doch das ärgerte mich nicht mehr. Durch die Wand würde man es doch nicht hören. Endlich stand es still. Der alte Mann war tot. Ich räumte das Bettzeug beiseite und untersuchte den Körper. Ja, er war tot – tot! Ich legte meine Hand auf das Herz und ließ sie mehrere Minuten lang liegen. Es klopfte nicht mehr. Er war bestimmt tot. Sein Auge würde mich nicht mehr quälen.
Wer mich auch jetzt noch für wahnsinnig hält, wird den Gedanken endgültig aufgeben müssen, wenn ich ihm erzähle, mit welch weiser Vorsicht ich den Körper verbarg. Die Nacht begann zu schwinden, und ich arbeitete in schweigender Hast.
Zunächst riß ich drei Dielen aus dem Boden des Zimmers und verbarg den Toten zwischen der Füllung, dann setzte ich dieselben so geschickt, so schlau wieder ein, daß kein menschliches Auge – nicht einmal das seinige – die geringste Veränderung hätte wahrnehmen können. Da war ja nichts abzuwaschen – kein Blutfleck, nicht die kleinste Spur von einem einzigen Tropfen. Dazu war ich viel, oh, viel zu vorsichtig gewesen.
Als ich diese Arbeit vollendet hatte, war es vier Uhr – und noch so dunkel wie um Mitternacht. Gerade als die Uhr schlug, wurde an die Haustür gepocht. Ich öffnete leichten Herzens, denn was hatte ich jetzt noch zu fürchten? Drei Männer traten ein, die sich als Polizeibeamte vorstellten. Während der Nacht hatte man in der Nachbarschaft
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