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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Skizze, die Sie eben betrachtet hatten, und Sie können sich mein Staunen vorstellen, als ich die Figur eines Totenkopfes wirklich gerade da erblickte, wo ich, wie mir schien, den Käfer hingezeichnet hatte. Einen Augenblick lang war ich zu bestürzt, um ernstlich nachdenken zu können. Ich wußte, daß meine Zeichnung im Detail von dieser hier merklich abwich – obgleich im allgemeinen Umriß eine Ähnlichkeit nicht zu verkennen war. Ich ergriff darauf eine Kerze, setzte mich in die andere Ecke des Zimmers und begann, das Pergamentstück genauer zu untersuchen. Als ich es umwandte, bemerkte ich auf der Rückseite meine Skizze, sie war noch genau so, wie ich sie gemacht hatte. Meine erste Empfindung war nur ein Staunen über die wirklich bemerkenswerte Ähnlichkeit des Umrisses – über das sonderbare Zusammentreffen, daß, ohne daß ich es gewußt, auf der anderen Seite des Pergamentes ein Totenschädel stand, der nicht nur im Umriß, sondern auch in der Größe mit meiner Käferzeichnung vollständig übereinstimmte. Also, wie gesagt, das Sonderbare dieses Zusammentreffens verwirrte mich ein paar Minuten lang. So geht es einem ja gewöhnlich in derlei Fällen. Der Geist müht sich ab, einen Zusammenhang, eine Folge von Ursache und Wirkung herauszufinden, und da ihm dies nicht gelingt, erleidet er eine Art vorübergehender Lähmung. Doch als ich mich von meiner Verblüffung langsam wieder erholte, dämmerte in meinem Geist eine Überzeugung auf, die noch viel überraschender war als dies Zusammentreffen. Ich erinnerte mich plötzlich deutlich und gewiß, daß auf dem Pergament, als ich meinen Käfer hinskizzierte, keine Zeichnung gestanden hatte. Dessen war ich vollständig gewiß, denn ich wußte, daß ich das Blatt auf beiden Seiten betrachtet hatte, um die reinste Stelle ausfindig zu machen. Wäre die Zeichnung des Totenkopfes damals schon vorhanden gewesen, ich hätte sie unbedingt sehen müssen.
    Ich stand also vor einem Geheimnis, das ich mir vergebens zu erklären suchte; aber selbst damals schon glomm in den untersten, verborgensten Kammern meines Geistes glühwurmgleich eine Erkenntnis jener Wahrheit auf, die das Ereignis der letzten Nacht so glorreich bewiesen hat. Ich stand auf, verschloß das Pergament in ein sicheres Fach und gab alles Nachdenken auf, bis ich allein sei.
    Als Sie sich verabschiedet hatten und Jupiter fest schlief, fing ich an, die Sache etwas methodischer zu untersuchen. Zuerst sann ich nach, auf welche Weise das Pergamentstück in meinen Besitz gekommen.
    Die Stelle, an der wir den Käfer entdeckt hatten, befand sich am Ufer des Festlandes, etwa eine Meile östlich von der Insel und nur wenig über dem Merkzeichen für den höchsten Wasserstand zur Flutzeit.
    Als ich ihn fing, versetzte er mir einen ziemlich heftigen Biß, so daß ich ihn wieder fallen ließ. Jupiter jedoch suchte mit seiner gewohnten Vorsicht nach einem Blatt oder irgend etwas Ähnlichem, um das Tier, das nun ihm zugezogen war, damit zu fangen. In dem Augenblick bemerkten wir gleichzeitig jenen Pergamentbogen, den ich für ein Stück Papier hielt. Er lag halb im Sande vergraben, nur eine Ecke ragte heraus. An demselben Ort, an dem wir ihn fanden, erblickte ich auch die Überreste eines Schiffsrumpfes, wahrscheinlich eines Langbootes. Jedenfalls hatten sie schon lange Zeit hier gelegen, denn sie waren eigentlich kaum noch als Schiffsholz zu erkennen.
    Jupiter hob also das Pergamentstück auf, wickelte den Käfer hinein und überreichte ihn mir in seiner Umhüllung. Bald darauf traten wir den Heimweg an und begegneten unterwegs Leutnant G., dem ich den Käfer zeigte. Er bat mich, ihm das Insekt zu leihen, ich willigte ein, und er steckte den Käfer in seine Westentasche, während ich das Stück Pergament in der Hand hielt. Vielleicht fürchtete der Leutnant, ich werde anderen Sinnes werden, und wartete gar nicht ab, bis ich die Beute wieder eingepackt hatte – Sie wissen ja, wie sehr er sich für alles, was Naturgeschichte angeht, interessiert. Mittlerweile muß ich wohl, ganz unbewußt, das Pergamentstückchen wieder eingesteckt haben.
    Sie erinnern sich, daß ich, um den Käfer zu zeichnen, auf dem Tisch nach Papier suchte, jedoch keines fand. Ich forschte dann in meinen Taschen nach, in der Hoffnung, einen alten Brief zu finden, und entdeckte das Pergament. Ich erzähle Ihnen dies alles absichtlich so genau, weil mich die sonderbaren Umstände, unter denen ich in seinen Besitz gelangte, besonders frappierten.
    Sie

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