Erzählungen
werden mich sicher für einen stark phantastischen Menschen halten, wenn ich Ihnen sage, daß ich mir schon damals eine Art Zusammenhang ausgedacht hatte. Ich hatte zwei wichtige Glieder einer großen Kette miteinander verbunden; an der Seeküste lagen die Überreste eines Bootes, und nicht weit von dem Boot ein Stück Pergament – kein Papier –, auf dem ein Schädel gezeichnet stand. Sie werden nun natürlich fragen: ›Wo ist da der Zusammenhang?‹ Ich antworte Ihnen, daß ein Schädel oder Totenkopf das wohlbekannte Sinnbild der Piraten ist. Sobald es zum Kampf kommt, ziehen die Seeräuber die Flagge mit dem Totenkopf auf.
Ich betonte schon, daß der gefundene Fetzen kein Papier, sondern Pergament war, das dauerhaft, ja fast unzerstörbar ist. Unwichtige Dinge schreibt man selten auf Pergament, denn es ist zum Schreiben und Zeichnen absolut nicht so gut geeignet wie Papier. Dieser Gedanke ließ mich in dem Totenkopf irgend etwas Bedeutsames erblicken und veranlaßte mich, die Form des ganzen Pergamentstückes näher ins Auge zu fassen. Obgleich eine der Ecken durch irgendeinen Zufall abgerissen worden war, konnte man doch leicht erkennen, daß die ursprüngliche Form des Pergamentes eine längliche gewesen war. Ein solcher Streifen mochte sehr wohl gewählt worden sein, um irgendeine merkwürdige Tatsache aufzuzeichnen – oder um zu verhindern, daß irgendein Umstand der Vergessenheit anheimfalle.«
»Aber Sie sagen doch«, warf ich ein, »daß sich der Schädel nicht auf dem Pergament befand, als Sie den Käfer zeichneten. Wie können Sie dann nur einen Zusammenhang zwischen dem Boot und dem Schädel sehen, da Ihrer eigenen Ansicht nach dieser doch – weiß Gott durch wen – später als der Käfer aufgezeichnet wurde?«
»Ach, sehen Sie, hierum dreht sich eben das ganze Geheimnis, obgleich gerade dieser Punkt nicht schwer zu lösen ist. Ich schloß also:
Als ich den Käfer zeichnete, war auf dem Pergament kein Schädel zu sehen. Als ich mit meiner Zeichnung fertig war, überreichte ich sie Ihnen und beobachtete Sie genau, bis Sie mir diese zurückgaben.
Sie zeichneten den Schädel auch nicht, und außer uns war niemand zugegen, der es hätte tun können. Die Zeichnung war also nicht von Menschenhänden gemacht und dennoch war sie da.
Als ich mit meinen Gedanken so weit gekommen, suchte ich mich, und zwar mit Erfolg, jeder Kleinigkeit genau zu erinnern, die um die betreffende Zeit vorgefallen war. Das Wetter war sehr kalt gewesen (ein ebenso seltenes wie für mich glückliches Ereignis im Oktober), auf dem Herd brannte ein Feuer. Ich war durch die Bewegung warm geworden und hatte mich an den Tisch gesetzt; Sie hatten sich den Armstuhl ganz nah ans Feuer gerückt. In dem Augenblick, als ich Ihnen meine Zeichnung überreichte, kam Wolf, der Neufundländer, hereingestürmt und sprang an Ihnen empor. Mit Ihrer linken Hand liebkosten Sie ihn und suchten ihn abzuwehren, während Ihre Rechte, die das Pergament hielt, achtlos zwischen den Knien hinabsank und in unmittelbare Nähe des Feuers geriet. Einen Augenblick lang fürchtete ich schon, die Zeichnung werde in Brand geraten, und wollte Sie warnen; im nächsten Moment jedoch hatten Sie sich des Hundes erwehrt und begannen das Bild zu betrachten. Als ich mich an all dies erinnerte, wurde mir plötzlich klar, daß die Hitze die Ursache war, welche den Schädel auf dem Pergamentstück zum Vorschein gebracht hatte. Es ist Ihnen jedenfalls bekannt, daß es chemische Präparate gibt und schon immer gegeben hat, vermittels derer man auf Papier oder Pergament so schreiben kann, daß die Schriftzüge erst dann sichtbar werden, wenn man sie der Wirkung des Feuers aussetzt. Ist das beschriebene Material kalt geworden, so verschwinden sie und kommen erst bei erneuter Erwärmung wieder zum Vorschein. Nun unterwarf ich den Totenkopf einer sorgfältigen Betrachtung. Seine äußeren Ränder, das heißt diejenigen, welche dem Rand des Pergaments zunächst lagen, waren deutlicher als die anderen. Offenbar war die Wirkung der Wärme unvollkommen und ungleich gewesen. Ich zündete sofort ein Feuer an und setzte jeden Teil des Pergamentstükkes einer Glühhitze aus. Dies hatte anfänglich keine andere Wirkung, als die schwachen Linien des Schädels zu verstärken, doch als ich längere Zeit bei dem Experiment verharrte, erschien in einer Ecke des Fetzens, dem Totenkopf schräg gegenüber, eine Figur, die ich anfänglich für eine Geiß hielt. Bei näherer Prüfung erkannte
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