Erzählungen
ich jedoch, daß es ein junger Bock sein sollte.«
»Haha!« lachte ich auf, »ich habe gewiß kein Recht, Sie auszulachen – ein und eine halbe Million Gold ist gewiß eine zu bedeutende Sache, als daß man seinen Spott damit treiben sollte – doch wie wollen Sie nun ein drittes Glied in Ihrer Kette nachweisen, wie wollen Sie den Zusammenhang zwischen den Piraten und der Geiß herstellen?
Seeräuber haben doch eigentlich mit diesen Tieren nichts zu tun; für die interessiert sich doch höchstens ein Landmann.«
»Aber ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß das Bild keine Geiß vorstellte.«
»Also meinetwegen einen jungen Bock – das ist doch fast dasselbe.«
»Fast dasselbe, aber doch nicht ganz«, antwortete Legrand. »Sie haben sicher schon von einem Kapitän Kidd gehört, dessen Name auch die Bedeutung eines Böckleins oder jungen Bocks hat; jedenfalls sah ich das Abbild dieses Tieres als eine Art Wortspiel oder vielmehr ein hieroglyphisches Zeichen für diesen Namen an, denn seine Stellung auf dem Papier legte einen solchen Gedanken sehr nahe. Der Totenkopf in der schräg gegenüberliegenden Ecke sah aus wie ein Gepräge oder Siegel. Doch erklärte dies alles gar nichts, und mit den paar Anhaltspunkten konnte ich eigentlich nichts weiter anfangen.«
»Ich glaube, Sie erwarteten, zwischen dem Siegel und dem hieroglyphischen Zeichen einen Brief zu finden?«
»Ja, oder wenigstens etwas Ähnliches. Jedenfalls verfolgte mich die Ahnung, es stände mir irgendein großes Glück bevor. Weshalb, vermag ich nicht recht zu sagen. Vielleicht war es zum Schluß auch mehr nur ein Wunsch als eine wirkliche Vorahnung, aber Sie werden sich jedenfalls erinnern, daß Jupiters törichte Worte, der Käfer bestehe ganz aus Gold, einen merkwürdigen Eindruck auf meine Phantasie gemacht hatten. Und dann jene merkwürdige Folge von Zufällen und Zusammentreffen – bedenken Sie doch nur, welch sonderbarer Zufall es war, daß ich das Pergament an jenem einzigen kalten Tage fand, an dem ein Feuer im Kamin brannte, und daß ich es Ihnen in dem Augenblick überreichte, in dem der Hund hineingestürzt kam und Sie, um ihn abzuwehren, Ihre rechte Hand mit der Zeichnung den Flammen nahe brachten! Daß ich ohne diesen Umstand den Totenkopf niemals erblickt und den Schatz niemals gefunden hätte!«
»Erzählen Sie nur weiter, ich bin voller Spannung!«
»Also, Sie haben ohne Zweifel die vielen Geschichten und unbestimmten Gerüchte gehört, nach denen Kidd und dessen Spießgesellen irgendwo an der Küste des Atlantischen Ozeans eine Unmasse Gold vergraben haben sollen. In dergleichen Gerüchten ist gewöhnlich ein Körnchen Wahrheit verborgen, und daß sich diese Geschichte vom Kapitän Kidd so lange erhielt, hatte meines Erachtens seinen Grund nur in dem Umstand, daß der vergrabene Schatz noch irgendwo unaufgefunden lag. Hätte Kapitän Kidd seine Schätze eine Zeitlang verborgen und später wieder in Besitz genommen, so würden die Gerüchte diese letzte Tatsache gewiß nicht verschwiegen haben. Sie wären in der Folge, als nicht mehr interessant, aus dem Gedächtnis des Volkes geschwunden. Sie haben wahrscheinlich schon bemerkt, daß man überall von Goldsuchern, fast nie jedoch von Goldfindern erzählt. Mir kam nun der Gedanke, daß irgendein Zufall – nehmen wir an: der Verlust des Schriftstückes, das die Lage des vergrabenen Schatzes ankündigte – dem Kapitän die Möglichkeit genommen habe, sich wieder in Besitz seines Eigentums zu setzen. Dieser Zufall wurde seinen Genossen bekannt und gab Anlaß zu all den Gerüchten, die jetzt so allgemein geworden sind. Haben Sie jemals gehört, daß man früher einmal an der Küste einen Schatz gehoben habe?«
»Niemals!«
»Doch ist es bekannt, daß Kidd ungeheure Schätze aufgespeichert hat. Ich hielt deshalb für gewiß, daß sie noch immer in der Erde verborgen lägen und Sie werden kaum noch überrascht sein, wenn ich Ihnen sage, daß ich die Hoffnung, ja, fast die Gewißheit in mir aufsteigen fühlte, das unter so sonderbaren Umständen gefundene Pergament enthalte die verlorene Nachricht über den Ort, an dem der Schatz vergraben lag.
Ich hielt das Pergament nochmals über ein noch stärkeres Feuer, doch kam nichts weiter zum Vorschein. Da fiel mir ein, daß die dicke Lage von Schmutz vielleicht schuld daran sei, und ich reinigte das Pergamentstück sorgfältig mittels warmen Wassers. Dann legte ich es, den Schädel nach unten, in eine zinnerne Pfanne über ein
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