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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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haben doch gewiß eine genaue Beschreibung des Briefes?«
    »O gewiß!« Hier zog der Präfekt ein Notizbuch hervor und las uns eine ausführliche Beschreibung der inneren und vor allem der äußeren Beschaffenheit des Briefes vor. Als er damit fertig war, verabschiedete er sich so niedergeschlagen, wie ich den guten Mann noch nie gesehen hatte.
    Etwa einen Monat später besuchte er uns wieder und fand uns fast in der gleichen Situation wie das vorige Mal. Wir boten ihm eine Pfeife und einen Stuhl an und begannen eine alltägliche Unterhaltung. Endlich fragte ich:
    »Nun, G., wie steht es denn mit dem gestohlenen Brief? Ich glaube, Sie haben sich wohl überzeugt, daß sich der Minister nicht so leicht überlisten läßt! «
    »Daß ihn der Teufel hole – ja! Ich habe die Untersuchung auf Dupins Vorschlag wieder aufgenommen, aber es war verlorene Mühe wie ich vorausgesehen hatte.«
    »Wie hoch, sagten Sie, war die ausgesetzte Belohnung?« fragte Dupin.
    »Nun, sie war sehr hoch – es war eine sehr freigiebige Belohnung; ich möchte die Summe nicht gern nennen, aber so viel will ich Ihnen sagen, daß ich jedem, der mir den Brief aushändigt, gern ein Akzept auf fünfzigtausend Francs auf meinen Namen ausstellen würde. Die Sache wird von Tag zu Tag wichtiger, erst kürzlich ist die Belohnung verdoppelt worden. Aber selbst wenn man sie verdreifachte, könnte ich nicht mehr tun, als ich tue und getan habe.«
    »Nun«, sagte Dupin gedehnt zwischen langen Zügen aus seiner Meerschaumpfeife, »ich glaube wirklich – lieber G. – Sie haben in dieser Sache – noch nicht – das Äußerste getan. Sie könnten – noch manches in Betracht ziehen – meine ich.«
    »Was denn? – Wieso?«
    »Nun – paff, paff – Sie könnten – paff, paff – in der Sache Rat einholen – paff, paff, paff. – Kennen Sie die Geschichte, die man sich von dem Doktor Abernethy erzählt?«
    »Nein! Hole der Geier Ihren Abernethy!«
    »Das kann er ja meinetwegen tun. Aber eines Tages kam ein reicher Geizhals auf die Idee, dem Abernethy einen ärztlichen Rat abzulisten.
    Er nahm ihn in einer Privatgesellschaft beiseite und erzählte ihm seinen Fall, als handele es sich um den einer fingierten dritten Person.
    ›Nehmen wir an‹, sagte der Geizhals, ›seine Symptome seien diese und jene, was würden Sie ihm raten, zu nehmen, Herr Doktor?‹
    ›Nehmen?‹ sagte Abernethy, ›nun, ich würde ihm raten, unbedingt einen Arzt zu nehmen.‹ «
    »Aber«, meinte der Präfekt, ein wenig aus der Fassung gebracht, »ich bin sehr gern bereit, Rat einzuholen und auch dafür zu bezahlen.
    Ich würde wirklich jedem, der mir in dieser Sache Hilfe leistet, fünfzigtausend Francs zahlen.«
    »Wenn das der Fall ist«, sagte Dupin, indem er eine Schublade öffnete und ein Scheckbuch herausholte, »können Sie mir ein Akzept über den erwähnten Betrag ausstellen. Wenn Sie unterschrieben haben, werde ich Ihnen den Brief aushändigen.«
    Ich war verblüfft, der Präfekt wie vom Donner gerührt. Einige Minuten lang saß er sprachlos und unbeweglich und blickte meinen Freund mit offenem Munde und starren Augen, die aus ihren Höhlen treten wollten, ungläubig an. Dann, als er ein wenig zu sich zu kommen schien, ergriff er eine Feder und füllte, oftmals innehaltend und vor sich hinstarrend, ein Akzept über fünfzigtausend Francs aus und händigte es über den Tisch hinweg meinem Freunde aus. Dieser prüfte es sorgfältig und steckte es in seine Brieftasche; dann schloß er seinen Schreibtisch auf, entnahm diesem einen Brief und überreichte ihn dem Präfekten. Der Beamte ergriff ihn mit wahrer Ekstase, öffnete ihn mit zitternder Hand, überflog mit raschem Blicke den Inhalt, stolperte, stürzte dann nach der Tür und eilte ohne weitere Umstände zum Hause hinaus – ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben, seit ihn Dupin aufgefordert hatte, das Akzept zu unterzeichnen.
    Als er uns verlassen hatte, gab mir mein Freund einige Erklärungen.
    »Die Pariser Polizei«, sagte er, »ist in mancher Hinsicht sehr tüchtig. Sie ist beharrlich, scharfsinnig, listig und besitzt auf den Gebieten, auf denen sie zu arbeiten hat, durchaus gründliche Kenntnisse. Als uns G. erzählte, daß er in der Wohnung des Ministers Haussuchung abgehalten habe, war ich vollständig überzeugt, daß es so gründlich und unübertrefflich gewissenhaft geschehen sei, wie es einem Menschen nur immer möglich ist – d. h. gründlich und gewissenhaft, soweit er eben die Durchsuchung

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