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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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an den Ecken ungerundeten Schindeln erbaut. Dieses Material hat die Eigentümlichkeit, den Häusern, die aus ihm erbaut sind, den Anschein zu geben, als wären sie unten am Grunde breiter als oben am Dache, etwa nach dem Muster alter egyptischer Architektur; in unserem Falle wurde dieser außerordentlich malerische Eindruck durch zahlreiche große Blumentöpfe mit reichen Blüten, die am Boden fast das ganze Haus umgaben, noch verstärkt. Die Schindeln waren mit bedecktem Grau bemalt, und wie glücklich ihr neutraler Ton in das lebhafte Grün der Tulpenbäume, die das Haus zum Teil überschatteten, überging, kann sich jeder Künstler leicht vorstellen.
    Von der erwähnten Steinmauer aus konnte man die Gebäude am besten übersehen, denn der vorspringende südöstliche Winkel ließ das Auge die beiden Fassaden übersehen, dazu den malerischen westlichen Dachstuhl, einen ziemlichen Teil des Nordflügels, ein Stück des reizenden Treibhausdaches und fast die Hälfte einer zierlichen Brücke, die den Bach in der Nähe des Hauptgebäudes überspannte.
    Ich blieb nicht lange auf dem Gipfel des Hügels stehen, doch lange genug, um das Bild zu meinen Füßen gründlich in Augenschein zu nehmen. Da sich jeder sagen mußte, daß ich mich auf meinem Wege zum nächsten Dorfe verirrt hatte, machte ich von dem guten Rechte aller Wanderer Gebrauch, öffnete ohne weitere Zeremonien das Tor und trat in die kleine Besitzung ein, um nach meinem Wege zu fragen.
    Der Weg vom Tore senkte sich sacht den nordöstlichen Abhang hinab. Er führte mich an den Fuß des nördlichen Abhanges und von da aus über die Brücke, an dem östlichen Flügel vorbei zum Haupteingang. Ich bemerkte beim Gehen, daß die Gartenhäuschen im Tale durchaus nicht zu sehen waren.
    Als ich um die Ecke des Hauses bog, sprang der Schäferhund auf mich zu, schweigend, aber in Blick und Haltung drohend wie ein Tiger. Ich hielt ihm jedoch zum Zeichen der Freundschaft meine Hand hin, denn ich habe nie einen Hund gekannt, der einem solchen Appell an seine Höflichkeit widerstanden hätte. Er wedelte daraufhin denn auch nicht nur mit dem Schweife, sondern bot mir sogar seine Pfote dar und dehnte seine Liebenswürdigkeit auch auf Ponto aus.
    Da ich keine Klingel bemerkte, klopfte ich mit meinem Stocke gegen die halb offen stehende Tür. Im selben Augenblicke erschien auf der Schwelle die Gestalt einer jungen Frau von vielleicht achtundzwanzig Jahren – schlank, fast zart und etwas über mittlere Größe.
    Als sie sich mir mit einer unbeschreiblich anmutigen, bescheidenen Bestimmtheit des Schrittes näherte, mußte ich mir sagen, daß ich hier die Vollkommenheit natürlicher Grazie im Gegensatz zu aller künstlichen gefunden. Die zweite und bei weitem stärkere Empfindung bei ihrem Anblick war lebhaftes Entzücken. Noch nie war mir ein solcher Ausdruck von Romantik, von – ich möchte sagen – Außerweltlichkeit, wie er aus diesem Blick ihrer tiefen Augen sprach, mit gleicher Gewalt ins innerste Herz gedrungen. Ich weiß nicht, wie es kommt, doch dieser besondere Ausdruck der Augen, der sich oft in dem Schwung der Lippen widerzuspiegeln scheint, ist der mächtigste, wenn nicht der einzige Reiz, der meine Aufmerksamkeit auf eine Frau lenkt. Romantik – ich nehme an, daß meine Leser vollständig verstehen, was ich alles mit diesem Worte sagen will – Romantik und Weiblichkeit scheinen mir zwei gleichbedeutende Ausdrücke zu sein, und schließlich liebt kein Mann in einer Frau etwas anderes als ihre Weiblichkeit. Annies Augen – ich hörte, wie jemand aus dem Innern des Hauses ihr »liebe Annie« zurief – waren von durchseeltem Grau, ihr Haar ein helles Kastanienbraun; dies war alles, was ich in der kurzen Zeit von ihr wahrnehmen konnte.
    Auf ihre höfliche Einladung hin trat ich ein und durchschritt zuerst ein ziemlich geräumiges Vestibül. Da ich gekommen war, um zu beobachten, blickte ich mich ein wenig um und bemerkte zu meiner Rechten ein Fenster, das genau so gestaltet war wie die an der Vorderseite; zu meiner Linken eine Tür, die in das Hauptgemach führte, während ich dem Eingang gegenüber durch eine offene Tür in ein kleines Zimmer blickte, das, genau so groß wie das Vestibül, als Studierzimmer eingerichtet war und ein nach Norden gehendes Bogenfenster hatte.
    Ich trat ins Wohnzimmer und befand mich Herrn Landor gegenüber – dieses war, wie ich später erfuhr, der Name des Hausherrn.
    Er kam mir höflich, ja, herzlich entgegen, doch lag mir in dem

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