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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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verbunden, die aus einem einzigen breiten und dicken Brett aus Tulpenbaumholz bestand. Sie war vierzig Fuß lang und bog sich in leichtem, doch deutlichem Bogen, der jedes Schwanken ausschloß, von Küste zu Küste. Am südlichen Ende des Sees trat das Flüßchen wieder aus demselben heraus, schlängelte sich vielleicht noch dreißig Ellen weiter, trat durch die schon beschriebene Senkung in der Mitte der südlichen Abhänge aus dem Tal, sprang dann einen steilen Abgrund von vielleicht hundert Fuß herab und machte sich auf den vielfach gewundenen Weg zum Hudson.
    Der kleine See war tief, an manchen Stellen wohl dreißig Fuß, während das Flüßchen selten mehr als drei Fuß tief und acht Fuß breit war. Sein Boden und seine Ufer waren genau so wie die des Sees – wenn man ihnen vom Standpunkte des Malerischen aus hätte einen Vorwurf machen wollen, so wäre es der absoluter Sauberkeit gewesen.
    Die große, grüne Rasenfläche wurde hie und da durch glänzendes Buschwerk, wie Hydrangea oder Schneeball oder duftendes Syringengesträuch unterbrochen; häufiger noch durch einen Tuff Geranien, die in allen Farben prächtig in Blüte standen. Sie wuchsen in Töpfen, die sorgfältig in dem Boden vergraben waren, so daß es den Eindruck machte, als seien sie eingepflanzt. Außerdem war der Rasensammet wie besprenkelt mit Schafen, die mit drei zahmen Rehen und einer großen Zahl glänzend befiederter Enten im Tal umherstreiften. Ein sehr großer Bullenbeißer schien alle diese Tiere zu bewachen.
    An den östlichen und westlichen Felswänden, die ziemlich steil abfielen, wuchs üppigster Efeu, so daß nur hier und da der nackte Fels zum Vorschein kam. Der nördliche Abhang war fast vollständig von selten schönen Weinranken bedeckt, die zum Teil dem Boden am Fuße des Felsens, zum Teil den Spalten in seinem Angesicht entsprossen.
    Die leichte Erhebung, die die untere Grenze dieses Besitztums bildete, wurde von einer kleinen Steinmauer gekrönt, die hoch genug war, das Entkommen der Rehe zu hindern. Nirgendwo sonst war eine Einfriedigung zu sehen, da die natürlichen Grenzen jeden Zaun unnötig machten. Wenn sich zum Beispiel ein Schaf verirrte und durch die Schlucht aus dem Tale entweichen wollte, so fand es seinen Weg ein paar Ellen weiter an dem abstürzenden Felsrande aufgehalten, über den das Wässerchen sprang, das zuerst meine Aufmerksamkeit erregte, als ich mich dem Besitztum näherte. Als einziger Aus- und Eingang diente ein Tor, das die zwischen Felsen dahinführende Straße abschloß, wenige Schritte unter dem Punkte, auf dem ich stand und das Bild vor mir überschaute.
    Ich sagte schon, daß sich das Flüßchen oder der Bach während seines ganzen Laufes sehr unregelmäßig hin und her schlängelte.
    Seine Hauptrichtung ging erst von Westen nach Osten und dann von Norden nach Süden. Bei der Biegung schwenkte es zurück, machte eine fast kreisförmige Schlinge, so daß es eine Halbinsel umschloß, die fast eine vollständige Insel war und wohl ein sechzehntel Morgen groß sein mochte. Auf dieser Halbinsel stand ein Wohnhaus – und wenn ich von diesem Hause sage, daß es, wie die von Vathek gesehene unterweltliche Terrasse, était d‘une architecture inconnue dans les annales de la terre‘, so meine ich damit, daß sein ganzer Anblick das stärkste Gefühl von Eigenart und Zweckdienlichkeit in mir auslöste – kurz von Poesie (denn ich könnte nur mit diesen beiden Worten eine scharfe Definition des abstrakten Begriffes Poesie geben) – meine ferner, daß der Eindruck des bloß Außergewöhnlichen in keiner Hinsicht überwog.
    Man konnte sich in der Tat nichts Einfacheres, nichts Anspruchsloseres denken als diese Hütte. Sie verdankte ihre wunderbare Wirkung vollständig ihrem künstlerischen Aufbau als Gemälde. Wenn man sie so ruhig betrachtete, konnte einem wohl der Gedanke kommen, daß irgendein hervorragender Landschaftsmaler sie mit seinem Pinsel aufgeführt habe.
    Der Punkt, von dem aus ich das Tal überschaute, war nicht durchaus , wenn auch fast der beste, von dem aus man ein Haus im Augenschein nehmen konnte. Ich möchte das Landhaus deshalb so beschreiben, wie ich es später sah – von der Steinmauer am südlichen Ende des amphitheatralischen Bildes aus.
    Das Hauptgebäude war ungefähr vierundzwanzig Fuß lang und sechzehn breit – auf keinen Fall länger oder breiter. Seine ganze Höhe vom Boden zur Dachspitze konnte nicht mehr als achtzehn Fuß betragen. An das westliche Ende dieses

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