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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Allan Poe
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Steigerung der Bleipreise um hundert und der Silberpreise um fünfundzwanzig Prozent ergeben.

LANDORS LANDHAUS
    Landor’s Cottage ()

    Als ich im vergangenen Sommer eine Fußtour durch einige Grafschaften in der Nähe Neuyorks machte, wußte ich eines Tages gegen Abend nicht mehr genau, auf welchem Wege ich mich befand. Die Gegend war merkwürdig hügelig, und mein Pfad hatte sich während der letzten Stunde bei seinem Bestreben, in den Tälern zu bleiben, so verworren hin und her gewunden, daß ich nicht mehr wußte, in welcher Richtung ich das liebliche Dorf B., in dem ich die Nacht zu bleiben beschlossen, zu suchen hatte. Während des Tages, der unangenehm schwül gewesen, hatte die Sonne eigentlich kaum einmal wirklich geschienen. Ein dampfiger Nebel hüllte alle Dinge ein und machte mich noch unsicherer. Doch war ich durchaus nicht beunruhigt. Wenn ich das Dorf auch vor Sonnenuntergang oder vor Einbruch der Dunkelheit nicht erreichte, so mußte ich doch höchstwahrscheinlich bald auf eine kleine holländische Farm oder ein ähnliches Gebäude stoßen, obgleich die Umgebung, vielleicht weil sie malerischer als fruchtbar war, nur spärlich bewohnt wurde. Und im schlimmsten Falle hätte mich die Notwendigkeit, mit meinem Tornister als Kissen und meinem Hund als Schildwache unter freiem Himmel biwakieren zu müssen, auch nur amüsiert. So vertraute ich denn Ponto meine Flinte an und streifte nach Herzenslust weiter; und als ich endlich anfing, genauer zuzusehen, ob die zahllosen kleinen Pfade, die hin und wider liefen, wirklich Wege sein sollten, führte mich bald der verlockendste von ihnen auf einen wirklichen Fahrweg. Man bemerkte deutlich die Spuren leichter Räder, und obgleich das hohe Gesträuch und das aufgeschossene Unterholz oben wieder zusammenschlugen, bot sich unten doch nicht das geringste Hindernis, nicht einmal für einen virginischen Bergkarren, der doch das anspruchvollste Vehikel ist, das ich kenne. Der Weg selbst hatte, abgesehen davon, daß er frei durch das Gehölz lief – wenn Gehölz für dieses schmächtige Gesträuch nicht ein viel zu grober Name ist – und Räderspuren aufwies, nicht die geringste Ähnlichkeit mit allen den Wegen, die ich bis jetzt gesehen hatte. Die Spuren waren nur sehr schwach sichtbar, da seine angenehm feuchte Oberfläche fest war:
    sie erinnerte an grünen genuesischen Samt. Er war mit einem Rasen bedeckt, so kurz, dicht, gleichmäßig, von so glänzender Farbe, wie wir ihn sonst nur in England sehen. In den Räderfurchen lag nicht das kleinste Hindernis, kein Stückchen Holz, kein welker Zweig. Die Steine, die ehemals die Bahn versperrten, hatte man sorgfältig an den Rand des Weges gelegt , nicht geworfen, so daß sie eine seitliche Grenze mit einer Art zufälliger Genauigkeit angaben, die äußerst malerisch wirkte. Aus den Zwischenräumen wuchsen üppige Büsche wilder Blumen hervor.
    Ich wußte nicht recht, was für Schlüsse ich aus all dem ziehen sollte. Daß ich hier zweifellos eine Kunstäußerung vor mir hatte, überraschte mich nicht, denn im eigentlichen Sinne sind ja alle Straßen Werke der Kunst. Auch kann ich nicht sagen, daß mich das  Maß der angewendeten Kunst so sehr verwunderte. Alles, was man getan hatte, konnte man vielleicht hier bei den günstigen natürlichen Vorbedingungen (so heißt es, glaub ich, in den Büchern über Landschaftsgärtnerei) mit wenig Mühe und Kosten getan haben. Es war also nicht der Aufwand, sondern der Charakter der Kunst, der mich veranlaßte, mich auf einen der blumenüberwucherten Steine niederzulassen und den elfenhaft schönen Pfad wohl eine halbe Stunde oder länger in wundersamem Erstaunen anzuschauen. Und je länger ich schaute, desto offenbarer wurde mir eins: nur ein Künstler, und zwar einer mit dem empfindlichsten Auge für Formenschönheit, konnte diese Anlage geschaffen haben. Er hatte die größte Sorgfalt darauf verwandt, zwischen dem Sauberen und Anmutigen einerseits und dem Pittoresken im wahren Sinne des italienischen Wortes andererseits die richtige Mitte zu halten. Man sah wenig gerade und keine langen ununterbrochenen Linien. Die gleiche, durch eine Biegung oder eine Farbe hervorgerufene Wirkung erschien gewöhnlich von einem bestimmten Gesichtspunkte aus zweimal, doch nicht öfter.
    Überall herrschte Abwechslung in der Einheitlichkeit. Das Ganze war eine Komposition, an der auch der anspruchsvollste kritische Geschmack nichts mehr zu verbessern gefunden haben würde.
    Ich hatte

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