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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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dem bißchen armseliger Daseinskraft am Leben haften, wie die Spinne an ihrem Faden. Und wieder markige Arbeiter, die das Recht des Lebens an ihren schwieligen Händen tragen und auf der dumpfen, rußigen Stirn. – Wenn ich doch wenigstens wahnsinnig würde, das ist mein Gebet, wenn ich nachts schlaflos daliege.
    Und bisweilen, da ist mir auch: Jetzt kriecht es herauf. Schwül und schrecklich. Und jetzt kichert es mir im Schädel und lacht mich aus – lacht … und ich lache mit, laut und gellend. Aber dann ist es doch nicht. Ich nehme ein Zeitungsblatt und lese zwei, drei Zeilen, und sehe, daß ich alles noch erfasse Wort für Wort, Satz für Satz. – Nein, auch wahnsinnig darf ich nicht werden! Auch das nicht.« Savant kämpfte ein Weinen zurück.
    Alle saßen stumm da und blickten entsetzt auf den Sprecher. Nur der Major, der krebsrot war, hackte mit dem Sporn des linken Fußes leise gegen die Dielen.
    Das klang wie Totenwurmpochen.
    Ein Schauer ging durchs Zimmer.
    Keine Tasse regte sich.
    »Ich bin zu Ende«, raunte der Unglückliche jetzt matt und klanglos.
    »Ein anderer könnte glücklich sein in diesem glatten, farbenarmen Leben. Er könnte gut und viel essen, die gute Verdauung behalten und sehr dick werden.
    Mich aber, mich, der ich einen heißen, sehnenden Drang nach einem Ereignisse in mir trage, von Kindheit an, mich tötet es.
    Meine Wange glüht vor Sehnsucht, aber der Sturm des Lebens kommt nicht, der sie kühlen soll.«

Requiem
    Sie haben irgendwann gelebt, und sind beide längst todt. Ich weiß, dass auf ihren vergessenen Gräbern der Frühling wildert, oder dass eine ahnungslose Weide sich über die steilen Tafelsteine neigt und im Maiwind mit zagen Fingern über die Namen tastet, wie um sie zu lesen. Die Schrift aber ist verweht und verwittert, und die gute Weide hütet die Namenlosen wie eine fremde Frau zwei verirrte Kinder. – Sie liegen nebeneinander, weil sie im Leben lange beisammen waren, weil schon im Licht jedem angst war vor dem Ganzalleinsein, und weil es gut ist, im feuchten kalten Unten liebe Nachbaren zu haben. Gerade jetzt wenn die Osterglocken wehn, und die dunkeln Wurzeln wie sonnengeweckte Kinder ihre braunen Arme dehnen, dehnen, greift vielleicht eine in die beide(n) leisen Herzen hinein und thut zusammen, was auf Erden sich nie finden konnte; und im hellen Tag wird eine Blume draus. – Wie oft haben sie zusammen Blumen gebrochen. Sie ging immer langsam mit lächelndem Schauen den weißen Wiesenpfad; denn sie war viel älter, und die Herren sagten ihr schon fünf Jahre Fräulein. Darum konnte sie nicht mitten durch die Wiesenwellen laufen dem blassen zehnjährigen Knaben nach. Aber sie rief ihm irgendwann ein Wort, lachte ihm ein Lachen zu, oder kam, wenn er über vielen Vergissmeinnicht mit hastenden Händen säumte, licht und leise durchs Grün just auf ihn zu wie ein echtes, goldenes Märchen. Da kniete der Knab’, und die kleinen blauen Blumen flatterten wie erfüllte Wünsche aus seinen erschreckten Händen. Die Weiße aber lachte ihn laut aus. Und dann gabs großes Zürnen und Grollen bei dem blassen Knaben über Schrecken und Spott und über die armen Vergissmeinnicht. Nicht lange freilich. Auf einmal schlich der Kleine neben ihr, streichelte zag ihre Hand und schenkte ihr soviel Blumen, dass der Sommerhut der Gespielin randvoll war. Das waren die schönsten Stunden für ihn. Blumensuchen war so gut. Man muss nichts erzählen dabei und versteht sich doch mit jeden Blick und muss nicht nebeneinander gehen und findet sich doch in jeder Weile wieder, und lachen kann man aus voller, heller Kehle, dass es wie eine Rakete springt in den lichtzitternden Himmel.
    Und das hatte der blasse Knabe so selten dürfen. Kinder, die in ernsten, grauen Häusern aufwachsen, lernen schwer lachen. Sie hocken in den Ecken der kalten, hohen Stuben, drin die Stühle so ernst und alle Menschen so feierlich sind, als ob sie immer in breiten goldenen Rahmen stünden. Dunklen Augs staunen sie den Großen nach, die mit unverständlichem Eifer an ihnen vorübergehen und niemals ein Lächeln in die tiefen Zimmer mitbringen, selbst wenns draußen Frühling ist. Und kommt dann selten wie ein Sonnenstrahl, ein jubelmuthiger Mensch aus der hellen Welt in die frierende Stille so wogt Alles in den einsamen Kindern diesem Neuen zu und wiegt und schmiegt sich an ihren seligen Sinn wie das Morgenmeer an die tagende Küste. So hatte der Knab’ die blonde Gespielin gefunden. Sie trug den ganzen Jubel des

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