Wilde Rosen auf Mallorca
1. KAPITEL
“S ie versperren mir die Aussicht.” Juliet drehte sich um, aus ihrer frühmorgendlichen Träumerei gerissen. Überrascht nahm sie den Mann wahr, der nicht weit entfernt auf der Terrasse auf einer Liege lag und stirnrunzelnd zu ihr schaute.
Sie hatte die Anwesenheit eines anderen überhaupt nicht bemerkt, als sie an der Küste stand und auf das ruhige Wasser hinausblickte. Auch war ihr die Schönheit des Sonnenaufgangs, der vom Wasser reflektiert wurde, entgangen, während sie überlegte, wie lange sie noch hier bleiben müsste. Die meisten Menschen hätten es nicht als Unannehmlichkeit betrachtet, weiter in diesem vornehmen Hotel auf der paradiesischen Insel Mallorca zu bleiben, aber Juliet war nicht zum Vergnügen hier!
Und ganz sicher war sie nicht in der Stimmung, sich die Grobheit dieses Mannes gefallen zu lassen. Er mochte ja auch für seinen Hotelaufenthalt bezahlt haben – und das war sehr viel, wie sie wusste! Doch mit den Kosten für seine Hotelsuite hatte er kein Anrecht auf exklusive Aussicht erworben.
Ihre grauen, von langen dunklen Wimpern umrahmten blitzenden Augen verrieten ihr Missfallen. “Ich dachte, die Aussicht sei für alle da”, schnappte sie und strich mit einer Hand ihr langes leuchtend rotes Haar über ihre Schulter zurück. Beim Verlassen ihrer Suite hatte sie es nicht im Nacken zusammengesteckt, wie sie es sonst tat.
Sie war jetzt seit fast einer Woche auf der Insel und fand, dass sie mit den Nächten am schwersten fertig wurde. Sie hatte keine Probleme, sich tagsüber zu beschäftigen, aber nachts fiel sie für nur wenige Stunden in einen unruhigen Schlaf, erwachte dann gegen drei Uhr morgens und konnte nicht wieder einschlafen. Sie hatte es sich angewöhnt, lange Spaziergänge an der Küste zu machen, sobald es hell wurde.
Noch zwei Tage, hatte Juliet bei ihrem heutigen Spaziergang beschlossen, und dann würde sie zurück nach Hause, nach England fahren. Mit ihrem Aufenthalt hier löste sie ohnehin nichts. Die Person, deretwegen sie hergekommen war, ließ sich einfach nicht sehen, und das musste sie eben akzeptieren.
Der Mann erhob sich von der Liege. Er war groß und schlank, trug ein schwarzes T-Shirt und enge Jeans, und sein überlanges Haar glänzte golden in der Sonne. Seine Augen waren so blau wie das Wasser vor ihnen. Er blinzelte in die helle Morgensonne, als er über die Terrasse auf sie zuzugehen begann.
Es war erst kurz nach sechs, zu früh zum Aufstehen für die anderen Hotelgäste, und Juliet merkte plötzlich, dass sie beide hier allein waren. Und dieser Mann wirkte eher feindselig.
Als er unmittelbar vor Juliet stehen blieb, wurde ihr erst seine volle Größe bewusst. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, so dass sie ihre Unterlegenheit ihm gegenüber noch deutlicher spürte.
“Die Aussicht gehört jedermann”, murmelte er heiser. “Ich war nur überrascht, noch jemand anders so früh am Morgen hier draußen zu sehen.”
Und das gab ihm das Recht, grob zu ihr zu sein? Seine Entschuldigung war nicht gerade überschwänglich, aber andererseits machte der Mann den Eindruck, dass er sich, wenn überhaupt, nur selten entschuldigte.
Er musste Ende dreißig sein, hatte ein gut aussehendes Gesicht mit markanten Zügen, dunkle Wimpern um scharfe, wache blaue Augen, eine lange, gerade Nase, einen geschwungenen Mund und ein energisches Kinn.
Juliet zuckte die Schultern. Ihre Kleidung war seiner ähnlich, abgesehen davon, dass ihr T-Shirt blau war und in ihren Jeans steckte.
“Der Morgen ist der schönste Teil des Tages”, erklärte sie – wenngleich sie sich dessen um drei Uhr morgens nicht so sicher war.
“Ich teile Ihre Auffassung”, stimmte er zu und sah sie mit durchdringendem Blick an.
Obwohl er leger gekleidet war, sah er nicht wie die üblichen Urlauber aus, die Juliet bisher in diesem exklusiven Hotel gesehen hatte. Die meisten von ihnen, die Männer mit eingeschlossen, waren mehr daran interessiert, mit ihrer Kleidung modisch zu wirken, als sich wirklich zu entspannen und die Sonne und das Meer zu genießen. Dieser Mann hingegen vermittelte den Eindruck, als sei ihm Mode völlig egal. Er kleidete sich bequem und scherte sich den Teufel darum, welchen Eindruck er auf andere machte. Selbst das leicht gewellte goldblonde Haar war unmodisch lang. Vielleicht schätzte sie ihn aber völlig falsch ein – was sie sehr oft tat –, was sie spätestens wissen würde, wenn sich seine modebewusste Frau und seine verwöhnten Kinder
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