Es begann in einer Winternacht
Vermögen gemacht hatte. Die Gentlemen der Londoner Gesellschaft gingen zum Spielen, wegen des guten Essens, des Alkohols und der billigen Huren zu Jenner’s. Die Atmosphäre war extravagant, aber mit einem aufregenden Hauch von Schäbigkeit. Vor beinahe zwanzig Jahren war Jenner’s die schlechtere Alternative zu dem legendären Craven’s gewesen, der prachtvollsten und erfolgreichsten Spielhölle, die England je gesehen hatte.
Aber als Craven’s abgebrannt und sein Besitzer es nicht wieder aufgebaut hatte, war die Flut der reichen Kunden in Ermangelung einer anderen Möglichkeit zu Jenner’s ausgewichen, und so war der Club zu seinem jetzigen Erfolg gekommen. Nicht, dass er je mit Craven’s verglichen werden konnte. Ein Club spiegelte zu einem großen Teil die Persönlichkeit und den Stil seines Besitzers wider, und an beidem mangelte es Jenner leider deutlich. Derek Craven hatte ohne Zweifel ein Händchen für eine gekonnte Inszenierung gehabt. Ivo Jenner dagegen war ein ungeschlachter Grobian, ein ehemaliger Boxer, der sich in nichts hervorgetan hatte, aber durch eine an ein Wunder grenzende Laune des Schicksals ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden war.
Und dann war da noch Jenners Tochter, sein einziges Kind. Wenn sie ihm jetzt tatsächlich das Angebot machte, von dem er erwartete, dass es kommen würde, konnte er es sich nicht leisten, abzulehnen.
„Ich will nicht Ihre G-Glückwünsche“, antwortete Evangeline auf seine frühere Bemerkung.
„Was wollen Sie dann, Kindchen?“, fragte Sebastian sanft. „Kommen Sie doch bitte endlich zur Sache. Diese Unterredung wird langsam ermüdend.“
„Ich will die letzten Tage seines L-Lebens mit meinem Vater verbringen. Die Familie meiner Mutter verbietet mir, ihn zu sehen. Ich habe versucht, zu ihm in den Club zu fliehen, aber sie fangen mich jedes Mal wieder ein, und dann werde ich bestraft. Diesmal werde ich n-nicht zu ihnen zurückgehen. Sie haben Pläne, denen ich auf jeden Fall aus dem Weg gehen will – und wenn es mein Leben kosten sollte.“
„Und was sind das für Pläne?“, fragte Sebastian müßig nach.
„Sie wollen mich zwingen, einen meiner Cousins zu heiraten. Mr. Eustace Stubbins. Ich bin ihm vollkommen e-egal und er mir genauso … aber er ist eine willige Figur in den Machenschaften der Familie.“
„Die darin bestehen, Kontrolle über das Vermögen Ihres Vaters zu erlangen, wenn er stirbt?“
„Genau. Zuerst habe ich es durchaus in Erwägung gezogen, denn ich dachte, dass Mr. Stubbins und ich unser eigenes Haus haben könnten … und ich dachte … das Leben könnte erträglich sein, wenn ich nur nicht mehr mit ihnen allen zusammenwohnen müsste. Aber Mr. Stubbins hat mir mitgeteilt, dass er nicht vorhat, irgendwo anders hinzuziehen. Er will bei seiner Familie bleiben … und ich glaube nicht, dass ich dort noch lange überleben werde.“
Im Angesicht seines scheinbar vollkommen desinteressierten Schweigens sprach sie leise weiter: „Ich glaube, sie haben vor, mich zu t-töten, wenn sie erst das Geld meines Vaters haben.“
Sebastian beobachtete sie genau, auch wenn sein Tonfall leicht blieb. „Wie ungemein taktlos von ihnen. Aber was geht mich das an?“
Evangeline ignorierte seine provozierenden Bemerkungen und erwiderte seinen Blick mit einer Klarheit und Festigkeit, die von einer inneren Stärke sprachen, die Sebastian noch nie zuvor bei einer Frau erlebt hatte. „Ich biete Ihnen die Ehe an“, sagte sie. „Ich will Ihren Schutz. Mein Vater ist zu krank und zu schwach, um mir zu helfen, und ich möchte meinen Freunden nicht zur Last fallen. Ich bin mir sicher, sie würden mich aufnehmen, aber selbst dann müsste ich immer auf der Hut sein und fürchten, dass es meinen Verwandten gelingen könnte, mich zurückzuholen und mir ihren Willen aufzuzwingen. Eine unverheiratete Frau hat wenige Möglichkeiten, weder in der Gesellschaft noch vor Gericht. Es ist nicht g-gerecht … aber ich kann es mir nicht leisten, gegen Windmühlen anzukämpfen. Ich brauche einen E-Ehemann. Sie brauchen eine reiche Frau. Wir sind beide in einer verzweifelten Lage, was mich vermuten lässt, dass Sie in meinen V-Vorschlag einwilligen werden. Wenn dem so ist, sollten wir noch heute Nacht nach Gretna Green aufbrechen. Am besten sofort. Ich bin mir sicher, dass meine Verwandten schon jetzt nach mir suchen.“
Es folgte eine gespannte und drückende Stille. Sebastian betrachtete sie mit unfreundlichem Blick. Er traute ihr nicht. Nach
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