Es bleibt natürlich unter uns
Die alte Holzbrücke hatte der Fluß in dem großen Hochwasser des Jahres sechsundneunzig so gründlich weggerissen und unterspült, daß nur noch ein paar zerfetzte Eichenstümpfe anzeigten, wo sie einmal gestanden hatte, fünfzig Schritt oberhalb der neuen Brücke, mit deren Bau noch im Sommer des Hochwasserjahres begonnen worden war. Wenn die Gletscher abgeschmolzen waren, dann sickerte die Ache so sanft durch ihr kiesiges Bett, daß die Barben sich in den Gumpen zu Rudeln zusammendrängen mußten, und die Kinder, die unter den mächtigen alten Trauerweiden an den Flußufern spielten, sich beim Durchwaten kaum die Knöchel naß machten.
Eine gotische Kirche mit zwei Zwiebeltürmen und zwei Häuserreihen mit Stufengiebeln, die sich um einen schlauchartigen kleinen Markt schlossen, — in dieser Gestalt hatte sich Aldenberg ein paar hundert Jahre lang durchgefrettet, bis es um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts Stadtrecht erhielt, und mit den Stadtrechten ein Gymnasium, ein Amtsgericht und das Landratsamt. Die Stadt wuchs dabei kaum; der Schlauch streckte sich nur ein wenig in die Länge, der Salzstraße folgend, die von den Reichenhaller Salinen über Aldenberg nach München führte. Man opferte diesem Raumbedürfnis sogar die beiden alten schönen Stadttore, es war wie ein kurzes Aufschnaufen, aber dann war der Luftbedarf auch schon für lange Zeit gedeckt. Jenseits der Ache breiteten sich die Weiden, Äcker und Wälder bis an den Horizont. Ein paar Bauernhöfe lagen dort grau und geduckt in der Weite der Hügellandschaft, in der die spitzen Kirchtürme von Heiligblut, Steingassing und Baumhöring wie trigonometrische Punkte in den Himmel stachen.
Weshalb die Stadt eigentlich wuchs, weshalb sie sich so rasch ausdehnte, ist ziemlich rätselhaft. Sie besaß keine Sehenswürdigkeiten, die Fremde anzulocken vermochten, und sie stand jeder industriellen Niederlassung feindlich gegenüber. Ihr gehörte ein kleines Moorbad, ein lauer Schlammweiher im Moos, der von einer warmen Quelle gespeist wurde; aber man tat nichts dafür. Die Badezellen faulten, und durch die geborstenen Bretter orgelte der Wind. Es waren auch nur ein paar Unentwegte, die sich dem heilkräftigen Schlamm anvertrauten. Alte Offiziere, die sich in Rußland oder Frankreich das Rheuma geholt hatten, oder alte Justizräte, die in ihren Amtsstühlen steif geworden waren. Diese alten Herren rühmten nicht nur das Moorbad, sie rühmten auch die guten Biere vom Wiesbräu und vor allem die gute Aldenberger Luft, die Wälder ringsum, die niedrigen Lebenshaltungskosten, — sie zogen Kollegen und Freunde nach, und so kam es, daß Aldenberg im Lauf der Jahre eine Art Pensionopolis wurde.
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Herr Xaver Pflanz, der Lammwirt, der gleichzeitig die größte und bestgehende Metzgerei von Aldenberg betrieb, stand mit der blutigen Schürze und Blutkrusten unter den Fingernägeln zwischen Metzgerei und Gasthauseingang und scheuerte sich, während er darauf achtete, daß der lange Aschenstreifen seiner blonden Zigarre nicht abfiel, am Regenrohr den juckenden Rücken. Er liebte es, sich mit seiner Metzgerkleidung, der weißen Schürze über dem blauweißgestreiften Hemd, in der Öffentlichkeit und vor seinen Gästen zu zeigen. Ein Mann, der von vier Uhr früh auf den Beinen war, zweispännig ins Gäu fuhr, für drei schuftete, — denn die Gesellen waren ja doch nur lauter Stümper und Tagediebe; ein Mann, der sich von früh bis spät um seinen Betrieb kümmerte, und dem zum Lohn für seine Mühe — Gott sei’s geklagt, lieber Herr — das Finanzamt die Haare vom Schädel fraß. Was Wunder, daß er — ein wenig cholerischen Temperaments — wenn die Steuerprüfer kamen und seine Bücher filzten, ab und zu zum Schlächterbeil griff und die ganze Bande durch Haus und Hof jagte. — Drei Monate ohne Bewährungsfrist hatte er wegen Schwarzschlachtens hinter sich, „aber Herr, schaun’s, die einzige Zeit in meinem Leben, wo ich mich mal richtig ausgeschlafen habe. Und wenn die Sch... finanzer wegen dem bisserl Messerwerfen etwa pampig werden wollen, bittschön, dann sperr ich meinen Laden eben zu, entlaß meine Leute und ruh mich halt wieder aus.“ — Die Finanzer wurden nicht ,pampig’; die Frau des Hauses, die rosig und adrett, mit strammen Brüsten und zweikarätigen Brillanten an den Fingern das Ladengeschäft führte, besänftigte die bedrohten Beamten mit guten Reden und noch besseren Wurstpaketen. Und schließlich hatte noch keiner von ihnen ein Beil oder
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