Es gibt kein nächstes Mal
Gefühl tiefer Zufriedenheit folgte. Sie war sicher, Boy hätte
sich darüber gefreut.
Sie hatte sämtliche Gemälde von den Wänden
genommen und sie in Wellpappe gewickelt, die sie mit breitem braunem Klebeband
befestigt hatte. Grellweiße Rechtecke waren an den Wänden zurückgeblieben.
Diese Flecken störten Gemmas angeborenen Ordnungssinn, aber jetzt war es zu
spät, um mit dem Malern zu beginnen. Sie fühlte sich auf eine seltsame Weise
aufgeschmissen. Noch vor zehn Minuten auf der Straße, hatte sie geglaubt, keine
Zeit mehr zu haben. Jetzt zogen sich die zwei Stunden, bis sie ein Taxi zum
Flughafen nehmen mußte, in die Länge. Ihre beiden Koffer standen neben der Tür,
mit verriegelten Schlössern und säuberlich beschrifteten Etiketten, und daneben
ihr taubenblauer Kosmetikkoffer. Alles war sauber und ordentlich und organisiert.
Sie ließ sich auf die lederne Chesterfieldcouch
sinken und versuchte, die Erinnerungen an glückliche Zeiten in der Wohnung
heraufzubeschwören. Sie war bemüht, Boys Gesicht an dem Tag vor sich zu sehen,
an dem sie ihm zum ersten Mal begegnet war.
»Wie heißt du?« hatte sie ihn gefragt.
»Alle nennen mich Boy«, hatte er geantwortet.
»Boy Bench.«
»Aber wie heißt du wirklich?« hatte sie auf die
Art nachgehakt, die er mit der Zeit als ihre »ernsthafte englische Art«
bezeichnen sollte.
»Park«, sagte er. Bis zu ihrem Hochzeitstag
hatte sie nie gewußt, ob das ein Witz war, aber Boy war ein absolut treffender
Name für ihn. Damals.
Als es dem Ende zuging, hatte er wie ein alter
Mann ausgesehen.
Vielleicht war es tatsächlich ein äußerst sonderbarer
Schritt gewesen, ihn zu heiraten. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn es sich
ergab, daß sie jemandem die Wahrheit über ihre Ehe erzählte, konnte sie Schock
und Ungläubigkeit selbst auf den Gesichtern von Menschen mit liberaler
Einstellung erkennen. Doch Boy hatte zu den ganz wenigen Gegebenheiten gezählt,
die in ihrem Leben normal waren.
Etwa ein Jahr nach ihrer Ankunft in der Stadt
hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. In jener Woche war ein Schreiben von
der Einwanderungsbehörde eingetroffen. Sie hatte Pech gehabt. Die meisten
illegalen Ausländer, so lautete die offizielle Bezeichnung, kamen ungeschoren
davon, wenn sie etwas länger blieben, und wurden erst später von der Bürokratie
eingeholt.
Sie war zu Boy gegangen, um sich mit ihm in seiner
Wohnung einen Videofilm anzusehen. Sie hatte in dem Lebensmittelladen an der
Straßenecke zwei Halbliterdosen Bier besorgt.
»Was kann man schon über einen Jungen sagen, der
gern Eis ißt und die Beatles und... Männer liebt?« hatte er sie gefragt, als vor
den letzten tränentreibenden Augenblicken der Love Story der Nachspann
mit der Besetzungsliste abgespielt wurde.
Boy war ja so sentimental. Wenn er den Videofilm
aussuchen durfte, dann lief es unweigerlich auf ein melodramatisches Machwerk
der siebziger Jahre hinaus — sein unumstrittener Liebling war So, wie wir
waren — oder auf einen Bette-Davis-Film.
»Mit diesem Film identifiziere ich mich
wirklich«, fuhr er fort. »Ryan O’Neils Vater und meiner haben eine Menge
gemeinsam. Allerdings bezweifle ich, daß meiner sich am Ende erweichen lassen
würde.«
Wenn sie jetzt daran dachte, konnte diese Ironie
einem das Herz brechen. Mr. Bench senior hatte auf der Beerdigung geweint, aber
sie hatte den Eindruck gehabt, daß es sich um Tränen der Erleichterung
handelte. Wenigstens war sein Sohn jetzt endgültig aus dem Weg und konnte
seinen Vater nicht mehr in Verlegenheit bringen. Wenn er sich entschieden
hatte, sein Leben auf diese Art zu verbringen, hatte sie ihn im Krankenhaus
sagen hören, als Boys Mutter zusammengebrochen war, dann waren ihm die Risiken
wohl bekannt gewesen. Es war, als hätte Boy, entgegen den Ratschlägen seines
Vaters, den vorsätzlichen Entschluß gefaßt, einen gefährlichen Beruf zu
ergreifen, zum Beispiel als Stuntman bei Actionfilmen, und dabei einen Unfall
von der Art erlitten, die jeder vernünftige Mensch hätte Vorhersagen können.
»Ich habe dir einen Vorschlag zu machen«, hatte
Boy gesagt. »Wenn du nicht schleunigst etwas unternimmst, werden sie dich in
etwa einem Monat aus diesem Land rauswerfen. Willst du nach England zurück?«
»Nein, ganz und gar nicht, aber ich werde
niemals eine Green Card bekommen.«
»Es sei denn, du heiratest.«
»Allerdings ist mir, seit ich hier angekommen
bin, noch niemand über den Weg gelaufen, der sich ernstlich für mich
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