Es ist niemals vorbei
seinem Rücken breitete sich ein riesiger Schweißfleck aus.
Fred richtete seine Waffe auf das Dach gegenüber. «Haben Sie schon versucht, mit ihm zu reden?»
«Von diesem therapeutischen Kram halte ich nichts.»
«Soll das ein Witz sein?», fragte Fred. Aber er lachte nicht. «Bundespolizei! Keine Bewegung!», rief er dem Schützen zu, dieser schattenhaften Gestalt, die sich beim Klang seiner Stimme zurückzuziehen schien. Mütze, Schulter, brauner Stoff, glänzende Waffe verschwanden.
«Jetzt sehe ich ihn nicht mehr», stellte Billy fest.
Hinter mir hörte ich Mac mit eiligen Schritten näher kommen. Ich spürte, dass er fest entschlossen war, mich zurück ins Haus zu zerren – ebenso wie ich entschlossen war, mich nicht von der Stelle zu bewegen und alles genau zu verfolgen. Wenn etwas passierte, wollte ich später als Zeugin auftreten, Fragen beantworten und helfen.
«Mommy.»
Ich warf einen Blick über die Schulter. Auch Mac drehte sich um. Auf der Türschwelle stand Ben und rieb sich verschlafen die Augen.
«Ich komme», rief Mac. Mit zwei Sätzen war er bei unserem kleinen Jungen, nahm ihn hoch und hielt ihn mit einer Hand den Mund zu. Mac warf mir einen zornigen Blick zu und flüsterte: «Komm sofort ins Haus und sperr die Tür hinter dir ab!»
Aber das konnte ich nicht. Oder wollte es nicht. Einer von uns musste bleiben und alles mit ansehen, nur für den Fall, dass einer – Billy, Fred oder der Schütze – sein Leben verlor.
Mit Ben auf dem Arm trat Mac zurück und schloss die Tür. Aber ich wusste, er hatte den Notruf gewählt. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, ehe die ersten Streifenwagen kämen und die Beamten sich über die Straße verteilten.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite öffnete Mrs Petrini die Haustür, eine weißhaarige Dame, die jeden Tag um diese Zeit ihre Eingangstreppe fegte. Sie rief: «Was zum Teufel soll das hier eigentlich bedeuten?»
Fred und Billy spurteten über die Straße.
«Polizei», hörte ich Fred sagen, ehe er Mrs Petrini zur Seite stieß und in ihr Haus rannte. Jedes Haus in unserer Straße besaß einen Zugang zum Dach, entweder über eine Feuerleiter oder eine Innentreppe. Die Stille in unserer Straße war unheimlich. Mrs Petrini starrte ins Leere, genau wie ich. Dann fluchte sie und ging wieder ins Haus. Die Haustür ließ sie offen stehen.
Auch ich lief ins Haus und nach unten in Macs Büro. Auf dem Schreibtisch lag seine Lesebrille auf einem aufgeschlagenen Terminkalender, daneben ein Block mit einem Stift. Er hatte mitten im Satz aufgehört zu schreiben. Der Bildschirmschoner seines Computers zeigte das Bild eines lachenden Ben. Ich öffnete den Schrank, knipste das Innenlicht an, hockte mich nieder und räumte unsere Winterstiefel zur Seite. Dann war ich am Safe und tippte hastig die Kombination ein. Als die Tür aufsprang, schaufelte ich die Briefumschläge und Dokumentenbündel heraus, schnappte mir die Ruger, lud das Magazin und rannte wieder nach draußen.
Über die Straße.
Mrs Petrinis Eingangstreppe hoch.
Hinein in ihr Haus – ein typisches Witwenhaus mit säuerlichem Geruch und tanzenden Staubkörnern – und zwei Treppen hoch zu ihrem Dachgeschoss. Ich entdeckte am Ende des Flurs eine kleine Tür und wusste, dass sie zum Dach führte. Normalerweise waren solche Türen geschlossen. Diese hier öffnete sich zu einem himmelblauen Rechteck, durch das drei aufgeregte Stimmen zu mir drangen.
Zweiundzwanzig
Lautlos bewegte ich mich auf die Öffnung zu, hielt mich dabei dicht an der Wand und linste um die Ecke. Ich erkannte ein Stück Dachpappe. Und drei Personen.
Eine von ihnen war
Jasmine
.
Die mit ihrer Waffe auf Billy zielte.
Gehetzt schaute sie abwechselnd von Billy zu Fred.
Wie ein Tier, das in der Falle saß.
Ungläubig versuchte ich, aus meinen konfusen Gedanken einen sinnvollen zu fassen.
Denn das, was ich sah, konnte gar nicht sein. Jasmine war doch in Key West oder Mexiko und nicht in New York.
Aber ich sah sie ganz deutlich. Schaute sie an. Außer Billy und Fred (und mir, wenn man so wollte) war sie die Einzige auf dem Dach. Was bedeutete, dass
sie
auf mich geschossen haben musste. Es bedeutete, dass sie nie untergetaucht, nie verschwunden war, sondern die ganze Zeit über eigene Ziele verfolgt hatte.
Warum war mir nie der Gedanke gekommen, dass Jasmine in New York sein konnte? Am Telefon hatte ich sie mir immer in ihrem Cottage vorgestellt oder sonst irgendwo in Florida. Vollkommen hirnlos, war ich
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