Es ist niemals vorbei
wollte, der geweint hatte. Auf dem Weg war ich gegen die Handtasche gestoßen, die umkippte und ihren Inhalt über den Fußboden ergoss. Das Flugticket sah ich noch ganz genau vor mir. Ich wusste auch noch, dass ich alles eilig vom Fußboden gerafft hatte – und dann war Jasmine ins Wohnzimmer getreten. Irgendwie musste dieser Zettel unter den Teppich gerutscht sein.
Die Vorwahl lautete drei-null-fünf – Miami. Da kannte ich mich inzwischen aus. Ich drehte den Zettel hin und her und versuchte mir einzureden, dass die Nummer sicher nichts bedeutete, aber dann gewann meine Neugier. Ich setzte mich aufs Sofa, holte den Laptop vom Sofatisch, stellte ihn auf meine Knie, rief das Verzeichnis mit den Telefonnummern Floridas auf und tippte die Rufnummer ein. Eine Seite öffnete sich, und ich erfuhr, dass die Vorwahl drei-null-fünf auch Key West einschloss, sowohl Festnetzanschlüsse als auch Handynummern. Um an Namen und Adresse zu gelangen, sollte ich fünf Dollar zahlen. Ich war schon im Begriff, meine Kreditkarte zu holen, als mir etwas Besseres einfiel.
Ich konnte die Nummer einfach wählen, oder etwa nicht?
Ich stellte den Laptop zurück, stand auf, machte einen großen Schritt über Putzeimer und Schrubber hinweg und ging in die Küche. Dort nahm ich das Telefon auf und wählte. Sofort wurde am anderen Ende abgenommen.
«Hallo?»
«Jasmine? Bist du das? Ich bin’s. Karin.»
Jasmine legte auf. Jedenfalls nahm ich an, dass sie es war. Es hatte wie ihre Stimme geklungen.
Für einen Moment wurde mir schwindlig.
Jasmine lebte.
Dann setzte sich mein Gehirn wieder in Gang. Warum hatte sie aufgelegt? Warum hatte sie den Anruf überhaupt angenommen, wenn sie nicht mit mir sprechen wollte? Sie musste meine Nummer doch auf ihrem Display erkannt haben.
Dann fiel mir ein, dass Mac unsere Telefonnummer nach seiner ersten Rückkehr aus Mexiko hatte blockieren lassen. Auch aus dem Telefonbuch hatte er unsere Nummer entfernen lassen, ebenso aus allen Online-Verzeichnissen, in denen er sie entdeckte. Demnach hatte Jasmine nicht wissen können, wer sie anrief. Aber warum hatte sie sich dann auf den Anruf einer unbekannten Nummer gemeldet? Ich erinnerte mich an die Zeit, in der ich selbst als verdeckte Ermittlerin gearbeitet hatte und wusste, wie schwierig es war, ein geheimes Leben zu führen. Die Nummer, die ich gewählt hatte, war Jasmine vermutlich im Rahmen eines Jobs zugeteilt worden, sodass es nur ganz bestimmte Personen gab, die sie auf diesem Weg erreichen konnten.
Ich war noch dabei, über diese Dinge nachzudenken, als das Telefon ging, das ich noch immer in der Hand hielt.
Unbekannt
stand auf dem Display. Ich meldete mich umgehend.
«Hör zu, diese Nummer kennst du nicht, okay?»
«Ähm, okay.»
«Das musst du mir versprechen, Schätzchen, versprich es mir hoch und heilig. Du bist noch immer auf deren Radarschirm. Wenn sie herausfinden, dass du diese Nummer hast, bin ich ernsthaft am Arsch.»
Aha, dachte ich. Jasmine hat das Soliz-Kartell infiltriert und dort weitergemacht, wo Mac aufgehört hatte. Es war ein Wunder, dass Jasmine es geschafft hatte, ihre Tarnung aufrechtzuerhalten. Über diese Nummer, überlegte ich weiter, nahm sicher Fred mit ihr Kontakt auf. Wahrscheinlich war er von Anfang an im Bilde gewesen, und natürlich hatte er uns nichts verraten dürfen. Jasmines Arbeit war gefährlich, und Fred konnte es sich nicht leisten, unnötige Risiken einzugehen.
«Von mir erfährt niemand auch nur ein Sterbenswörtchen», versprach ich Jasmine. «Da brauchst du dir überhaupt keine Sorgen zu machen.»
«Danke.» An ihrer Stimme hörte ich, dass sie schon dabei war, das Gespräch zu beenden. Doch dann fragte sie: «Wie bist du eigentlich an diese Nummer gekommen?»
«Beim Putzen. Ich habe den Teppich hochgehoben und einen Zettel mit dieser Nummer gefunden. Der muss dir an Thanksgiving aus der Tasche gerutscht sein.»
«
Du
hast geputzt?», kicherte Jasmine. Dann legte sie auf.
Ich lächelte auf das Telefon hinab, dieses Plastikgehäuse, das mich gerade so froh gemacht hatte. Wenigstens wusste ich jetzt, dass es Jasmine noch gab, irgendwo da draußen in der Welt, wo sie einen Auftrag zu erledigen hatte. Nur diese Gewissheit hatte ich haben wollen, und jetzt, da ich sie hatte, würde ich nachts auch nicht mehr wach daliegen, mir den Kopf zerbrechen und mir um sie Sorgen machen müssen.
Mac kam mit einem Becher in die Küche und schenkte sich Kaffee nach. Ich erzählte ihm, was vorgefallen
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