Es: Roman
Weißen. Die Geschäfte blieben fast eine Woche lang geschlossen. In den Krankenhäusern wurden die Verletzten unentgeltlich behandelt. Es gab Esskörbe und Beileidsbriefe, die ehrlich gemeint waren. Und es gab helfende Hände, die sich uns entgegenstreckten. Ich lernte damals meinen Freund Dewey Conroy kennen, der so weiß wie Vanilleeis ist, aber für mich ist er wie ein Bruder. Ich würde für Dewey sterben, wenn er mich darum bitten würde, und obwohl kein Mensch einem anderen wirklich ins Herz schauen kann, glaube ich, dass auch er für mich sterben würde.
Na ja, jedenfalls schickte die Armee das, was von unserer Kompanie übrig geblieben war, nach dem Feuer fort, so als schämten sie sich … und ich vermute, dass sie sich tatsächlich schämten. Ich landete in Fort Hood, und da blieb ich sechs Jahre lang. Dort lernte ich deine Mutter kennen, und wir heirateten in Galveston in ihrem Elternhaus. Aber in all den Jahren war mir Derry nie aus dem Kopf gegangen. Und nach dem Krieg kehrten wir hierher zurück. Und dann kamst du auf die Welt. Und da sind wir nun, keine fünf Kilometer von der Stelle entfernt, wo 1930 das Black Spot stand. Und jetzt musst du wirklich ins Bett, mein Junge.«
»Ich will aber alles über das Feuer hören!«, rief ich. »Erzähl mir davon, Daddy!«
Er sah mich mit gerunzelter Stirn ernst an, was mich immer zum Schweigen brachte... vielleicht weil er nur selten so dreinschaute. Meistens lächelte er. »Das ist keine Geschichte für einen kleinen Jungen«, sagte er. »Ein anderes Mal, Mikey. Wenn wir beide ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel haben.«
Und ich erfuhr erst vier Jahre später, was in jener Nacht geschehen war. Mein Vater erzählte es mir, als er im Krankenhaus lag, oft halb betäubt von den schmerzstillenden Mitteln, während der Krebs in seinen Eingeweiden rastlos arbeitete und ihn langsam zerfraß.
26. Februar 1985
Ich habe meine letzten Aufzeichnungen soeben noch einmal gelesen und war selbst ganz überrascht, dass ich plötzlich beim Gedanken an meinen Vater, der nun schon seit dreiundzwanzig Jahren tot ist, in Tränen ausbrach. Ich erinnere mich noch gut an meine Trauer über seinen Tod – sie hielt fast zwei Jahre an. Als ich dann 1965 die Highschool abschloss, sagte meine Mutter: »Wie stolz wäre dein Vater auf dich gewesen!«, und wir weinten gemeinsam, und ich dachte, mit diesen späten Tränen hätten wir ihn nun endgültig begraben. Aber wer weiß schon, wie lange ein Schmerz andauern kann? Ist es nicht möglich, dass man sogar dreißig oder vierzig Jahre nach dem Tod eines Kindes, eines Bruders oder einer Schwester plötzlich beim Gedanken an sie das gleiche Gefühl der Trauer und Verlassenheit verspürt, das Gefühl eines Platzes, der für immer leer bleibt... vielleicht sogar nach dem Tod?
Er verließ die Armee 1937 mit einer Invalidenpension. Zu jener Zeit war es beim Militär schon wesentlich kriegerischer zugegangen; er erzählte mir einmal, dass jeder, der nicht völlig blind war, damals schon sehen konnte, dass es wieder zum Krieg kommen würde. Er war inzwischen zum Sergeant befördert worden, und er büßte einen Großteil seines linken Fußes ein, als ein neuer Rekrut, der sich vor Angst fast in die Hose machte, eine Handgranate zündete und dann fallen ließ. Sie rollte auf meinen Vater zu und explodierte mit einem Geräusch, das sich – wie er sagte – anhörte wie ein Husten inmitten der Nacht.
Ein großer Teil der Waffen, mit denen die damaligen Soldaten üben mussten, war entweder schadhaft oder hatte so lange in irgendwelchen halb vergessenen Depots herumgelegen, dass sie nicht mehr funktionierten. Kugeln zündeten nicht, und Gewehre gingen nicht los oder explodierten manchmal in ihren Händen. Die Navy hatte Torpedos, die gewöhnlich erheblich von der Zielrichtung abwichen oder nicht explodierten. Die Luftwaffe hatte Flugzeuge, deren Tragflächen bei harten Landungen abfielen, und – wie ich gelesen habe – 1939 stellte in Pensacola ein Versorgungsoffizier fest, dass eine ganze Flotte von Transportwagen nicht funktionierte, weil Kakerlaken die Gummischläuche und sogar die Keilriemen aufgefressen hatten.
Mein Vater (darunter auch der Teil von ihm, der zu »Ihr ergebenster Diener Michael Hanlon« wurde) blieb nur durch ein Zusammenwirken von bürokratischem Hickhack und schadhafter Ausrüstung am Leben – die Handgranate explodierte nicht richtig, und so verlor er nur einen Teil des linken Fußes statt alles ab dem Brustbein
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