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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Daddy?«
    »Na ja, zum Teil war einfach Derry dafür verantwortlich«, sagte mein Vater stirnrunzelnd. Er zündete langsam seine Pfeife an und blies das Streichholz aus. »Ich weiß nicht, warum es gerade hier passierte; ich kann es nicht erklären, andererseits hat es mich aber auch nicht sonderlich überrascht.
    Die ›Legion of White Decency‹ war die Nordstaaten-Version des Ku-Klux-Klans, weißt du. Sie liefen in der gleichen weißen Kapuzentracht herum, sie hatten das gleiche Symbol des Flammenkreuzes, sie schrieben die gleichen hasserfüllten Drohbriefe an Schwarze, die ihrer Meinung nach zu hoch hinauswollten oder Jobs annahmen, die eigentlich Weißen vorbehalten waren. In Kirchen, wo die Prediger über die Gleichberechtigung der Schwarzen sprachen, legten sie manchmal Dynamit. In den meisten Geschichtsbüchern ist mehr vom KKK die Rede als von der ›Legion of White Decency‹, und viele Leute wissen nicht einmal, dass es so etwas gab. Ich nehme an, dass es daran liegt, dass die meisten Geschichtsbücher von Nordstaatlern geschrieben werden, die sich dieser Sache schämen.
    Na ja, den größten Zulauf hatte die ›Legion of White Decency‹ in den Großstädten und in Industriegebieten. New York, New Jersey, Detroit, Baltimore, Boston, Portsmouth – überall gab es Ortsgruppen. Sie versuchten sich auch in Maine zu organisieren, aber Derry war der einzige Ort, wo sie wirklich Erfolg damit hatten. O ja, eine Zeit lang gab es auch in Lewiston eine ziemlich starke Gruppe – das war in etwa zu der Zeit des Brandes im Black Spot -, aber sie kümmerte sich nicht um Nigger, die angeblich weiße Frauen vergewaltigten oder Jobs innehatten, die Weißen vorbehalten sein sollten, denn es gab hier oben kaum Neger. In Lewiston beschäftigten sie sich mit Landstreichern und Vagabunden; und sie befürchteten, dass ehemalige Soldaten sich mit der – wie sie sich ausdrückten – ›kommunistischen Proletenarmee‹ verbünden könnten, womit die Arbeitslosen gemeint waren. Die ›Legion of White Decency‹ pflegte verdächtige Elemente dieser Art sofort aus der Stadt zu vertreiben, sobald sie nur dort auftauchten. Manchmal stopften sie ihnen Gift-Efeu in die Hosen, manchmal steckten sie ihre Hemden in Brand.
    Nach dem Brand im Black Spot war die Legion hier oben so gut wie tot. Weißt du, die ganze Sache war einfach außer Kontrolle geraten. In dieser Stadt scheint so etwas öfters vorzukommen.«
    Er paffte eine Zeit lang schweigend vor sich hin. »Man könnte sagen, Mikey«, fuhr er schließlich fort, »die ›Legion of White Decency‹ war eine Saat gewesen, die in Derry einen guten Boden gefunden hat, um zu gedeihen. Sie war hier ein regelrechter Klub reicher Männer. Und nach dem Brand legten sie einfach alle ihre Kapuzentrachten ab und deckten sich gegenseitig mit ihren Lügen, und die Sache wurde vertuscht.« Jetzt lag eine so heftige Verachtung in seiner Stimme, dass meine Mutter stirnrunzelnd aufblickte. »Wer war denn schließlich ums Leben gekommen? Achtzehn Nigger aus der Armee, vierzehn oder fünfzehn Nigger aus der Stadt, vier Mitglieder einer Nigger-Jazzband … und etliche Nigger-Liebchen. Was spielte das schon für eine Rolle?«
    »Will«, sagte meine Mutter sanft. »Das reicht.«
    »Nein«, rief ich, »ich will es hören!«
    »Für dich ist eigentlich schon Schlafenszeit, Mikey«, sagte er und strich mir mit seiner großen, rauen Hand übers Haar. »Eines möchte ich dir aber doch noch sagen, obwohl ich nicht glaube, dass du es verstehen wirst – ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich es verstehe. Was in jener Nacht im Black Spot geschah, so schlimm es auch war … ich glaube eigentlich nicht, dass es passierte, weil es sich um Schwarze handelte. Nicht einmal deshalb, weil das Black Spot direkt hinter dem West Broadway lag, wo damals die reichen Weißen von Derry wohnten – und wo sie heute noch wohnen. Ich glaube nicht, dass die ›Legion of White Decency‹ hier so viel Zulauf und Erfolg hatte, weil der Hass auf Schwarze in Derry größer war als in Portland oder Lewiston oder Brunswick. Es liegt an diesem Boden. Es hat den Anschein, als gediehe das Böse auf dem Boden dieser Stadt besonders gut. Ich habe in all den Jahren immer wieder darüber nachgedacht. Ich weiß nicht, warum es so ist … aber es ist so.
    Doch es gibt hier auch gute Menschen, und die gab es schon damals. Zu den Begräbnissen nach dem Brand kamen Tausende, und sie kamen zu den Begräbnissen der Schwarzen ebenso wie zu jenen der

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