Es: Roman
Tode geprügelt. Keiner der drei kam jemals vor Gericht.«
Mike zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche und blätterte darin. Ohne aufzuschauen, berichtete er weiter. »Im Jahre 1877 gab es innerhalb der Stadtgrenzen vier Fälle von Lynchjustiz. Einer der Männer, die aufgeknüpft wurden, war der Laienprediger der Methodistenkirche, der anscheinend seine vier Kinder wie junge Katzen in der Badewanne ertränkt und anschließend seiner Frau einen Kopfschuss verpasst hatte. Er hatte ihr danach die Pistole in die Hand gedrückt, damit es wie Selbstmord aussehen sollte, aber auf diesen Schwindel fiel niemand herein. Ein Jahr zuvor wurden vier Holzfäller in einer Hütte am Kenduskeag tot aufgefunden – sie waren buchstäblich in Stücke gerissen. In alten Tagebüchern findet man Aufzeichnungen über das Verschwinden von Kindern, von ganzen Familien … aber in keinem öffentlichen Dokument. Das geht endlos so weiter, doch vermutlich versteht ihr schon, worauf ich hinauswill.«
»Okay, schon kapiert«, sagte Ben. »Es geht etwas vor sich, aber nicht öffentlich.«
Mike schloss das Notizbuch, schob es wieder in die Tasche und sah sie ruhig an.
»Wenn ich nicht Bibliothekar, sondern Versicherungsagent wäre«, fuhr er fort, »würde ich es euch vielleicht grafisch aufzeichnen. Dieses Diagramm würde eine außergewöhnlich hohe Rate aller uns bekannter Verbrechen aufzeigen – einschließlich Vergewaltigung, Inzest, Einbruch und Raubmord, Autodiebstahl, Kindesmisshandlung, Misshandlung von Ehefrauen und Sittlichkeitsverbrechen aller Art.
In Texas gibt es eine mittlere Großstadt, wo die Verbrechensrate wesentlich niedriger ist, als man bei einer Stadt dieser Größe und Rassenstruktur erwarten dürfte. Die ungewöhnliche Ausgeglichenheit und Sanftmut der Einwohner wird auf irgendeinen Bestandteil des dortigen Wassers zurückgeführt. In Derry ist genau das Gegenteil der Fall – auch in ganz normalen Jahren gibt es hier ungewöhnlich viele Gewalttaten. Aber alle siebenundzwanzig Jahre schnellt diese Gewalttätigkeit enorm hoch – obwohl dieser Zyklus immer nur annähernd stimmt -, und dieses Phänomen hat nie nationale Aufmerksamkeit erregt.«
»Du willst damit sagen, dass hier eine Art Krebskrankheit am Werk ist«, sagte Beverly.
»Keineswegs«, widersprach Mike. »Wenn Krebs nicht behandelt wird, führt er unweigerlich zum Tod. Derry ist nicht ausgestorben; ganz im Gegenteil, es wächst und gedeiht … natürlich auf unauffällige Weise, die kein Aufsehen erregt. Es ist einfach eine ziemlich reiche, blühende kleine Großstadt in einem verhältnismäßig schwach besiedelten Staat; eine Stadt, in der viel zu häufig schlimme Dinge passieren … und in der etwa jedes Vierteljahrhundert besonders schlimme, grausame Dinge geschehen.«
»Lässt sich das wirklich genau zurückverfolgen?«, fragte Ben.
Mike nickte. »Über mehrere Jahrhunderte hinweg. 1715/16, dann – besonders schlimm – etwa 1743, dann 1769/70, bis hin zur Gegenwart. Und es scheint immer schlimmer zu werden, vielleicht weil die Einwohnerzahl von Derry stetig wächst, vielleicht auch aus irgendeinem anderen Grund. Und 1958 scheint der Zyklus ein vorzeitiges Ende gefunden zu haben. Und das war unser Werk.«
Bill Denbrough beugte sich vor. Seine Augen leuchteten plötzlich. »Bist du dir dessen sicher? Ganz sicher? «
»Ja«, sagte Mike. »Alle anderen Zyklen erreichten ihren Höhepunkt ungefähr im September und flauten dann allmählich ab, sodass das Leben sich bis Weihnachten – spätestens bis Ostern – wieder mehr oder weniger normalisierte … mit anderen Worten, etwa alle siebenundzwanzig Jahre dauerte der Schrecken vierzehn bis zwanzig Monate. Aber das Schreckensjahr, das mit der Ermordung deines Bruders im Oktober 1957 begann, endete ganz abrupt im August 1958.«
»Warum?«, fragte Eddie eindringlich. Sein Atem ging pfeifend, und Bill wusste aus früherer Erfahrung, dass Eddie jetzt bald sein Asthma-Spray benutzen würde. »Was haben wir denn getan? «
Die Frage hing in der Luft. Mike schien sie zu prüfen … und schließlich schüttelte er den Kopf. »Ihr werdet euch von selbst daran erinnern«, sagte er. »Es wird euch zur richtigen Zeit von selbst einfallen.«
»Und wenn nicht?«, fragte Ben.
»Dann … gnade Gott uns allen.«
»Neun Kinder in diesem Jahr ermordet«, murmelte Richie. »Gütiger Himmel!«
»Lisa Albrecht und Steven Johnson Ende 1984«, sagte Mike. »Im Februar verschwand ein Junge namens Dennis Torrio, der die
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