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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Bahn, die auch dafür gesorgt hatte, dass er nach oben sah, als er an der Wendeltreppe vorbeiging. Hier in Derry gab es ein Echo, ein tödliches Echo, und sie konnten lediglich hoffen, dass dieses Echo so weit zu ihren Gunsten manipuliert werden konnte, dass sie mit dem Leben davonkamen.
    »Mein Gott«, murmelte er und rieb sich mit der Handfläche heftig die Wange.
    »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte eine Stimme dicht neben seinem Ellbogen, und er zuckte zusammen. Es war ein etwa siebzehnjähriges Mädchen, dessen dunkelblonde Haare mit Spangen aus dem hübschen Gesicht gehalten wurden. Eine Büchereihilfskraft, wie es sie auch 1958 schon gegeben hatte – Mädchen und Jungen von der Highschool, die Bücher einordneten, den Kindern zeigten, wie man die Katalogkästen benutzte, über Buchbesprechungen und Schülerzeitungen diskutierten und verwirrten Schülern erklärten, wie man Fußnoten und Bibliografien erstellte. Sie wurden erbärmlich schlecht bezahlt, aber es fanden sich trotzdem immer Interessenten, denn die Arbeit war leicht und angenehm.
    Als er den zwar freundlichen, aber fragenden Blick des Mädchens sah, wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr hierher gehörte, dass er hier im Kinderland ein Fremdling war, ein Riese im Zwergenland. Ein Eindringling. In der Erwachsenenbücherei hatte der Gedanke, gemustert oder angesprochen zu werden, ihm Unbehagen bereitet, aber jetzt fühlte er sich dadurch direkt erleichtert. Zum einen bewies es, dass er ein Erwachsener war, und auch die Tatsache, dass das Mädchen unter seinem dünnen Westernhemd ohne jeden Zweifel keinen BH trug, war eher erleichternd als erregend: Die deutlich sichtbaren Brustwarzen unter dem Baumwollhemd waren Beweis genug – jetzt war 1985 und nicht 1958.
    »Nein, danke«, erwiderte er, und plötzlich hörte er sich aus unerfindlichem Grund sagen: »Ich habe nach meinem Sohn Ausschau gehalten.«
    »Oh! Wie heißt er denn? Vielleicht habe ich ihn gesehen.« Das Mädchen lächelte. »Ich kenne die meisten Kinder.«
    »Sein Name ist Ben Hanscom«, sagte er. »Aber ich sehe ihn hier nicht.«
    »Sagen Sie mir, wie er aussieht, dann richte ich ihm gern etwas aus.«
    »Na ja«, sagte Ben, der sich inzwischen etwas unbehaglich fühlte, »er ist ziemlich stämmig, und er sieht mir ein bisschen ähnlich. Aber es ist nichts Wichtiges. Wenn Sie ihn sehen sollten, richten Sie ihm bitte nur aus, sein Vater hätte auf dem Heimweg hier reingeschaut.«
    »Das tue ich«, sagte das Mädchen und lächelte, aber es lächelte nicht mit den Augen, und plötzlich begriff Ben, dass es ihn nicht aus purer Hilfsbereitschaft angesprochen hatte. Das Mädchen war Hilfskraft in der Kinderabteilung der öffentlichen Bücherei in einer Stadt, in der innerhalb von acht Monaten neun Kinder brutal ermordet worden waren. Das Mädchen hatte einen seltsamen Mann in dieser Liliputwelt gesehen, wohin sich kaum ein Erwachsener verirrte, es sei denn, um sein Kind hinzubringen oder abzuholen. Du bist verdächtig, Ben … ganz klar.
    »Vielen Dank«, sagte er, lächelte sie, wie er hoffte, beruhigend an, und machte dann, dass er rauskam.
    Er kehrte durch den Glaskorridor zur Erwachsenenbücherei zurück und ging zur Ausleihtheke, einem Impuls folgend, den er nicht verstand … aber genau das sollten sie ja an diesem Nachmittag tun, oder? Einfach ihren Impulsen folgen und sehen, wohin sie das führte.
    Das Namensschildchen auf der Ausleihtheke wies die junge, hübsche Bibliothekarin als Carole Danner aus. Hinter ihr konnte Ben eine Tür mit Milchglasscheibe sehen, auf der zu lesen stand: MICHAEL HANLON, LEITER DER BÜCHEREI.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte Miss Danner.
    »Ich glaube schon«, sagte Ben. »Das heißt, ich hoffe es. Mein Name ist Benjamin Hanscom. Ich hätte gern eine Leihkarte.«
    »Sehr gern«, sagte sie und holte ein Formular heraus. »Wohnen Sie hier in Derry?«
    »Derzeit nicht.«
    »Wie lautet dann Ihre Heimatadresse?«
    »Rural Star Route 2, Hemingford Home, Nebraska.« Er zögerte kurz, ein wenig amüsiert von ihrem verblüfften Blick, und fügte dann hinzu: »Die Postleitzahl lautet 59341.«
    »Soll das ein Scherz sein?«, fragte sie mit einem schwachen Lächeln.
    »Keineswegs.«
    »Dann haben Sie vor, hierher zu ziehen?«
    »Derzeit nicht, nein.«
    »Ein ziemlich weiter Weg, um Bücher auszuleihen, meinen Sie nicht? Gibt es in Nebraska keine Büchereien?«
    »Es ist pure Sentimentalität«, sagte Ben. Wider Erwarten machte es ihn nicht verlegen, das

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