Es: Roman
Glaube, von dem die Monster leben. Diese Schlussfolgerung drängt sich mir unweigerlich auf: Essen mag lebensnotwendig sein, aber die eigentliche Quelle der Macht ist nicht das Essen, sondern der Glaube. Und wer ist zu einem totalen Glaubensakt befähigter als ein Kind?
Und genau da liegt natürlich das Problem. Kinder werden größer, werden erwachsen. In der Kirche wird Macht durch regelmäßig wiederholte Kulthandlungen verewigt. Kann es vielleicht sein, dass Es sich durch eine ganz einfache Tatsache schützt: Wenn die Kinder erwachsen werden, verlieren sie entweder ihren Glauben oder werden durch eine Art spiritueller Arthritis, die ihre Fantasie beschneidet, daran gehindert zu glauben?
Ja, ich glaube, hierin besteht das eigentliche Geheimnis. Und wenn ich meine alten Freunde anrufe – woran werden sie sich noch erinnern können? Wie viel davon werden sie noch glauben? Wird es reichen, um diesem Schrecken ein für alle Mal ein Ende zu setzen – oder wird es nur dazu reichen, dass sie umgebracht werden? Meine Freunde werden hergerufen – so viel steht für mich fest. Jeder dieser neuen Morde war ein Ruf. Wir haben Es zweimal fast getötet und Es letzten Endes tief in Seine Wohnstätten aus Tunneln und stinkenden Räumen unterhalb der Stadt gejagt. Aber ich glaube, Es kennt noch ein Geheimnis: Es selbst mag unsterblich – oder fast unsterblich – sein, aber wir sind es nicht. Es brauchte nur abzuwarten, bis der totale Glaubensakt, der uns als Kinder ebenso zu potenziellen Monster-Killern wie zu Quellen der Macht machte, für uns unmöglich würde. Siebenundzwanzig Jahre. Vielleicht ein Zeitabschnitt des Schlafes für Es, so kurz und erfrischend wie für uns ein Nachmittagsschläfchen. Und wenn Es aufwacht, ist Es unverändert, für uns aber ist ein Drittel unseres Lebens vergangen. Unsere Perspektiven haben sich verengt; unser Glaube an die Magie, der Magie erst ermöglicht, ist verblasst wie der Glanz von neuen Schuhen nach einer anstrengenden Tageswanderung.
Aber weshalb ruft Es uns zurück? Warum lässt Es uns nicht einfach sterben? Weil wir Es fast getötet haben, weil wir Ihm Angst eingejagt haben, glaube ich. Weil Es sich an uns rächen will.
Und jetzt, da wir nicht mehr an Santa Claus, die Zahnfee, an Hänsel und Gretel oder den Troll unter der Brücke glauben, ist Es bereit für uns. Kommt zurück, sagt Es. Kommt zurück, und wir werden die Sache in Derry zu Ende führen. Bringt eure Schachtelteu felchen und eure Murmeln und eure Jo-Jos mit … und wir werden spielen. Kommt zurück, dann werden wir sehen, ob ihr euch an das Allereinfachste erinnert: wie es ist, ein Kind zu sein … sich seines Glaubens sicher zu sein und sich deshalb vor dem Dunkeln zu fürchten.
Zumindest diese letzte Forderung erfülle ich tausendprozentig: Ich habe Angst. Schreckliche Angst.
Teil fünf
Das Ritual von Chüd
»Es darf nicht geschehen. Das Sickerwasser
Hat die Vorhänge verfault. Der Draht
Ist verfallen. Löst das Fleisch
Von der Maschine, baut keine
Brücken mehr. Durch welche Luft wollt ihr fliegen
Die Kontinente zu überspannen? Lasst die Worte
Allüberall hin fallen – auf dass sie
Schräg auf die Liebe fallen. Es wird
Ein seltener Besuch sein. Sie wollen zu viel retten,
Die Flut hat ihre Arbeit vollbracht.«
WILLIAM CARLOS WILLIAMS
PATERSON
»Schaut und bedenket. Betrachtet dieses Land,
Fern hinter Gras und Fabriken so weit,
Euch ziehen zu lassen ist man, dort, sicher bereit.
Dann sprecht, fragt Wald und Wiesenrain.
Hört den Befehl ihr, den das Land genannt?
Die Erde wird genommen; sie ist nicht euer Heim.«
KARL SHAPIRO
»TRAVELOGUE FOR EXILES«
Kapitel neunzehn
Nachtwachen
1
Stadtbücherei Derry, 1.15 Uhr
Nachdem Ben Hanscom seine Erzählung von den Silberkugeln beendet hatte, wollten sie ihre Unterhaltung fortsetzen, aber Mike erklärte ihnen ruhig, es wäre vernünftiger, wenn sie jetzt schlafen gingen. »Ihr habt vorerst genug«, sagte er, aber eigentlich war es Mike, der aussah, als hätte er genug; sein Gesicht war müde und abgespannt, und Beverly fand, er sah regelrecht krank aus.
»Aber wir sind doch noch gar nicht fertig«, wandte Eddie ein. »Was ist mit dem Rest der Geschichte? Ich erinnere mich immer noch nicht …«
»Mike hat recht«, sagte Bill. »Alles andere w-w-wird uns auch noch einf-f-fallen, da bin ich m-mir jetzt ziemlich sicher. Wir haben uns heute Abend an alles erinnert, was notwendig war.«
»Vielleicht an alles,
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