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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der mit ähnlichen Papiertuchbällchen gefüllt war. Dann öffnete er die Paraffinschachtel, zog einen wachsartigen Würfel heraus und legte ihn auf seine Handfläche. George sah ihm interessiert zu, schwieg aber. Bill mochte es nicht, wenn er auf ihn einredete, während er mit etwas beschäftigt war, aber George wusste aus Erfahrung, dass Bill ihm meistens ganz von allein erklärte, was er machte, wenn er den Mund hielt.
    Bill schnitt ein kleines Stück von dem Paraffinwürfel ab, warf es in die Schüssel, zündete ein Streichholz an und legte es auf das Paraffin. Die beiden Jungen betrachteten die kleine gelbe Flamme, während der schwächer werdende Wind vereinzelte Regenböen gegen die Fensterscheibe wehte.
    »Ich muss das Boot wasserdicht machen, sonst wird es sofort nass und sinkt«, sagte Bill. Wenn er mit George zusammen war, stotterte er nur ganz leicht oder überhaupt nicht, aber in der Schule war es manchmal so schlimm, dass er nicht mehr reden konnte und seine Mitschüler verlegen zur Seite schauten, während er sich an seiner Bank festhielt, sein Gesicht rot anlief, bis es fast die Farbe seiner Haare hatte, und er die Augen zudrückte und sich abmühte, seiner störrischen Kehle ein paar Worte abzuringen. Manchmal – meistens – gelang ihm das auch tatsächlich, aber eben nicht immer. Seine Mutter sagte, der Unfall sei schuld an dem Stottern; mit drei Jahren war Bill von einem Auto angefahren und gegen eine Hauswand geschleudert worden; die folgenden sieben Stunden war er bewusstlos gewesen. George hatte aber manchmal das Gefühl, dass sein Vater – und auch Bill selbst – von dieser Erklärung nicht hundertprozentig überzeugt war.
    Das Stückchen Paraffin in der Schüssel war inzwischen fast völlig geschmolzen. Die Streichholzflamme wurde bläulich, versank in der Flüssigkeit und erlosch. Bill tauchte seinen Finger ein, stieß einen leisen Zischlaut aus und lächelte George zu. »Heiß«, sagte er und begann das Paraffin auf die Seiten des Papierboots zu streichen, wo es rasch zu einem hauchdünnen milchigen Überzug erstarrte.
    »Darf ich auch mal?«, fragte George.
    »Okay. Pass nur auf, dass nichts auf die Bettwäsche kommt, sonst bringt Mama dich um.«
    George tauchte seinen Finger in das Paraffin, das jetzt zwar noch sehr warm, aber nicht mehr heiß war, und verteilte es auf der anderen Bootseite.
    »Nicht so viel, du A-loch!«, rief Bill. »Willst du, dass es auf der J-Jungfernfahrt sinkt?«
    »Tut mir leid.«
    »Schon gut. Du darfst nur g-ganz leicht drüberfahren.«
    George beendete seine Seite und nahm das Boot dann vorsichtig in die Hand. Es fühlte sich ein bisschen schwerer an als zuvor, aber nicht viel. »Ich werd jetzt rausgehen und es schwimmen lassen«, sagte er.
    »Ja, mach das.« Bill sah plötzlich ziemlich müde aus – müde und immer noch sehr angeschlagen.
    »Ich wollte, du könntest mitkommen«, sagte George. Das wünschte er wirklich. Bill konnte manchmal richtig herrisch werden, aber er hatte immer die tollsten Einfälle und schlug einen fast nie. »Eigentlich ist es dein Boot.«
    »Sie«, sagte Bill. »Boote sind immer w-weiblich.«
    »Gut, dann ist sie eigentlich dein Boot.«
    »Ich würde auch gern mitkommen«, sagte Bill mürrisch.
    »Tja …« George trat mit dem Boot in der Hand von einem Bein aufs andere.
    »Zieh deine Regenklamotten an«, erwiderte Bill. »Sonst wirst du noch kra-hank wie ich. Aber vermutlich hast du dich ohnehin sch-schon bei mir angesteckt.«
    »Danke, Bill. Es ist ein tolles Boot.« Und dann tat er etwas, was er seit Jahren nicht mehr getan hatte und was Bill nie vergessen sollte: Er beugte sich vor und küsste seinen Bruder auf die Wange.
    »Jetzt hast du dich hundertprozentig angesteckt, du A-loch«, sagte Bill, aber er schien sich trotzdem zu freuen. Er lächelte George zu. »Und räum das ganze Zeug wieder weg, sonst kriegt Mama einen Anfall.«
    »Klar.« Er durchquerte das Zimmer mit der Schüssel, dem Messer und der Paraffinschachtel, auf die er behutsam und etwas schräg sein Boot gelegt hatte.
    »G-G-Georgie?«
    George drehte sich nach seinem Bruder um.
    »Sei v-vorsichtig.«
    »Na klar«, sagte George und runzelte ein wenig die Stirn. So etwas sagt normalerweise eine Mutter, nicht aber ein großer Bruder. Es war ebenso seltsam wie der Kuss, den er Bill gegeben hatte. »Klar bin ich vorsichtig.«
    Er ging hinaus. Bill sah ihn nie wieder.

3
     
    Hier war er nun und folgte auf der linken Seite der Witcham Road seinem Boot. Er rannte

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