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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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D ER E THERHORDER M EERESBOTE
     
    6. Umbrin 941
     
    Sondermeldung
     
    KKS Chathrand
    AUF SEE VERSCHOLLEN
     
    von vielen Seiten wird ein
    TRAGISCHES ENDE
    für das große Schiff und seine
    800 Seelen befürchtet.
     
    Das Kaiserliche Kauffahrteischiff Chathrand [auch ›das Große Schiff‹, ›Windpalast‹, ›Lieblingsspielzeug des Erhabenen‹ etc. genannt] ist auf hoher See verschollen, und es steht zu befürchten, dass es mit Mann und Maus gesunken ist. Der E RHABENE K AISER weinte beim Erhalt der Nachricht und nannte das Schiff einen unersetzlichen S CHATZ . Die Eignerin, Lady Lapadolma Yelig, bemerkte, damit habe sich die Nacht auf ZWEITAUSEND J AHRE S CHIFFSBAUKUNST herabgesenkt.
    Nach Monaten der Hoffnung melden Küstenfischer auf Talturi, sie hätten das Wrack der Schaluppe der Chathrand sowie zahlreiche L EICHEN von Ertrunkenen in der Brandung entdeckt. Von ihrem langjährigen, wenn auch etwas sonderbaren Kapitän N ILUS R OSE gibt es keine Nachricht. Bei Rettungsbemühungen wurden lediglich Spieren, Takelwerk und im Wasser treibende Trümmer geborgen.
    Nachdem die Chathrand zuletzt in Simja angelegt hatte, setzte sie vor zwölf Wochen bei milder Sommerbrise die Segel und nahm Kurs auf ihren Heimathafen Etherhorde. 600 Matrosen, 100 Seesoldaten, 60 Teerjungen und allerlei Passagiere von niedrigem bis höchstem Stand waren an Bord. In Simja aufgegebene Briefe sprechen von einem RUHIGEN S CHIFF und einer AUSSERORDENTLICH ANGENEHMEN R EISE .
    Dennoch herrscht weiterhin Verwirrung, da DAS W RACK SELBST NICHT GEFUNDEN wurde. Unzählige Gerüchte halten den Aufruhr in der Bevölkerung und die lautstarke Frage wach:
     
    Was wurde diesem herrlichsten
    aller Schiffe zum Verhängnis?
     
    Sechshundert Jahre lang konnten weder Kriege noch Piraten die Chathrand versenken! Kein Wirbelsturm setzte jemals ihren Laderaum unter Wasser! Und nun will man uns einreden, das Schiff und sein legendärer Kapitän seien von einer eher harmlosen Bö in den Tod gerissen worden? Der Lordadmiral glaubt nicht daran. Auch Arquals Seeleute glauben nicht daran, und in allen Schenken der Hauptstadt wird von FALSCHEM S PIEL geraunt.
    Auf der Suche nach dem Schuldigen richten sich bereits einige Blicke nach Westen, und nicht selten ist ein Wort zu hören, das seit dem letzten Krieg in guter Gesellschaft gemieden wurde: nämlich das Wort R ACHE . Der Meeresbote hält es für unter seiner Würde, das Feuer zu schüren und [wie andere Blätter dies bedenkenlos tun] Gerächte der Art zu verbreiten, die Chathrand hätte unermessliche Reichtümer an Bord gehabt, an den geborgenen L EICHEN seien Spuren von G EWALT gefunden worden, und bei unseren Feinden würden große F LOTTENBEWEGUNGEN beobachtet. Aber wir müssen – gerechterweise – doch feststellen, dass keine andere Theorie …

I
     
    D ER T EERJUNGE
     
     
    Vaqrin (erster Tag des Sommers) 941
    Mitternacht
     
    Wie jede Katastrophe in seinem Leben begann es mit einer Flaute. Hafen und Dorf lagen in tiefem Schlaf. Der Wind, der die ganze Nacht getobt hatte, lag bezwungen vor der Landzunge; der Bootsmann war so schläfrig, dass er nicht mehr herumschrie. Nur Pazel Pathkendle, der in vierzig Fuß Höhe in den Webleinen hing, war so wach wie noch nie.
    Zunächst einmal, weil er fror – am Abend hatte eine Riesenwelle den Bug getroffen, acht von den Jungen bis auf die Haut durchnässt und den Schiffshund in den Frachtraum gespült, wo er immer noch um Rettung winselte –, doch was ihm Sorgen machte, war nicht die Kälte. Es war die Unwetterwolke, die, von hohen Winden getragen, die er nicht spürte, mit einem Satz das Küstengebirge übersprungen hatte. Das Schiff hatte, ganz im Gegensatz zu Pazel, keinen Anlass, sie zu fürchten. Ihm trachteten gewisse Menschen nach dem Leben, und das Einzige, was sie abhielt, war der Mond, dieser gesegnete, feurig lodernde Mond, der seinen Schatten wie eine Kohlezeichnung auf das Deck der Eniel ätzte.
    Nur noch eine Meile, dachte er. Dann kann es meinetwegen schütten.
    Solange die Flaute anhielt, lief die Eniel traumhaft ruhig: Ihr Kapitän hasste unnötiges Gebrüll, das in seinen Augen mangelnde Führungsstärke verriet, und gab der Achterwache nur einen Wink, als es Zeit war, über Stag zu gehen und auf die Küste zuzuhalten. Als er zu den Großsegeln emporschaute, fiel sein Blick auf Pazel, und eine Weile sahen sie sich schweigend an: der alte Mann, steif und knorrig wie eine Zypresse, und der Junge im zerschlissenen Hemd, den engen Kniehosen

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