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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Grauen.
    Verlassen, Derry verlassen, denkt er. Wir verlassen Derry, und wenn dies eine Geschichte wäre, so wären wir jetzt auf den letzten Seiten angelangt; könnten uns schon jetzt darauf vorbereiten, das Buch ins Regal zu stellen und es zu vergessen. Die Sonne geht unter, und außer meinen Schritten und dem Wasser in den Rohren ist alles still. Es ist Zeit, was bleibt ist

5
     
    Nach Dialing for Dollars lief jetzt eine Spiel-Show namens Das Glücksrad. Audra saß noch immer teilnahmslos vor dem Fernseher und starrte auf den Bildschirm. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, als Bill das Gerät ausschaltete.
    »Audra«, sagte er, ging zu ihr und nahm ihre Hand. »Los, komm schon.«
    Sie bewegte sich nicht. Ihre Hand lag in der seinigen, warm wie Wachs. Bill nahm ihre andere Hand von der Sessellehne und zog sie hoch. Er hatte sie am Morgen so angezogen, wie auch er selbst jetzt gekleidet war – Levi’s und ein blaues T-Shirt. Sie hätte wunderschön ausgesehen, wäre da nicht dieser leere, starre Blick ihrer weit aufgerissenen Augen.
    »L-l-los, k-komm schon … komm mit«, sagte er wieder und führte sie durch Mikes Küche ins Freie. Sie kam willig mit... wäre allerdings die Verandastufen herunter und in den Dreck gefallen, wenn Bill nicht den Arm um ihre Taille gelegt und sie Stufe für Stufe hinabgeführt hätte.
    Er brachte sie zu Silver, der aufgebockt in der hellen Mittagssonne stand. Audra stand neben dem Fahrrad und starrte ausdruckslos auf die Seitenwand von Mikes Garage.
    »Komm, Audra, steig auf.«
    Sie bewegte sich nicht. Geduldig war Bill ihr behilflich, eines ihrer langen Beine über den Gepäckträger zu schwingen. Dann stand sie mit gespreizten Beinen darüber und rührte sich nicht. Bill drückte seine Hand leicht auf ihren Kopf, und Audra setzte sich.
    Er schwang sich auf Silvers Sattel und klappte den Fahrradständer ein. Er wollte gerade nach Audras Händen greifen und sie um seine Taille legen, als sie ganz von allein um seine Mitte krochen, wie kleine benommene Mäuse.
    Er betrachtete diese Hände, sein Herz begann schneller zu schlagen, und er hatte das Gefühl, als säße es nicht nur in seiner Brust, sondern auch in seiner Kehle. Es war die erste selbstständige Handlung, die Audra in dieser ganzen Woche ausgeführt hatte, soviel er wusste … die erste selbstständige Handlung, seit Es geschehen war … was auch immer Es gewesen sein mochte.
    »Audra?«
    Keine Antwort. Er verrenkte sich fast den Hals bei dem Versuch, ihr Gesicht zu sehen, schaffte es aber nicht. Da waren nur ihre Hände, die seine Taille umfassten, und auf den Nägeln waren noch Reste des abblätternden roten Nagellacks zu erkennen, den eine schöne, kluge, lebhafte und begabte junge Frau in einer englischen Kleinstadt aufgetragen hatte.
    »Wir machen eine kleine Spazierfahrt«, sagte Bill, ließ Silver auf die Palmer Lane zurollen und lauschte dem Knirschen des Kieses unter den Reifen. »Ich möchte, dass du dich gut festhältst, Audra. Ich werde vielleicht … vielleicht ziemlich sch-sch-schnell fahren.«
    Wenn ich nicht im letzten Augenblick kneife.
    Er dachte an den Jungen, den er während seines Aufenthalts in Derry getroffen hatte, anfangs, als Es noch immer geschah. Auf einem Skateboard kann man nicht vorsichtig sein, hatte der Junge gesagt.
    Wahrere Worte wurden nie gesprochen, Junge.
    »Audra? Bereit?«
    Keine Antwort. Hatten ihre Hände ein ganz klein wenig fester zugegriffen? Vermutlich nur Wunschdenken.
    Er erreichte das Ende der Auffahrt und blickte nach rechts. Die Palmer Lane führte direkt zur Upper Main Street, und wenn er nach links abbog, würde er zum Hügel kommen, der in die Innenstadt hinabführte. Den Hügel hinab. Immer schneller. Ein Schauder überlief ihn bei dieser Vorstellung, und ein besorgniserregender Gedanke
    (alte Knochen brechen leicht, Billy-Boy)
    schoss ihm flüchtig durch den Kopf und verschwand. Aber … Aber außer der Besorgnis war da doch noch etwas anderes, oder?
    O ja. Da war auch das Verlangen … dieses Gefühl, als er den Jungen mit seinem Skateboard gesehen hatte. Das Verlangen nach Geschwindigkeit, den Wind im Rücken, ohne zu wissen, ob man sich auf etwas zubewegte oder von etwas fort. Einfach loszulassen. Zu fliegen.
    Vorsicht und Verlangen. Der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Wollen – der Unterschied zwischen einem Erwachsenen, der alle Risiken abwägt, und dem Kind, das sich einfach aufs Rad setzt und losfährt, zum Beispiel. Dazwischen liegen nicht nur

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