ESCORTER (German Edition)
nach den Fünf Euro Scheinen und dem Kleingeld, das sie dort hineingestopft hatte. »Sechsundzwanzig Euro. Dafür bestellen wir uns heute eine extra Vorspeise, okay?«
Er nickte lächelnd und wendete sich wieder dem Fernseher zu.
Doreé bestellte das Essen – Bami Goreng, Frühlingsrollen und Hühnerspieße mit Erdnusssauce – und tauschte dann die Hoteltracht mit Jogginghose und T-Shirt. Während sie auf den Lieferdienst wartete, deckte sie den Tisch in der Küche.
Die wenigen Male, als jemand unerwartet an ihrer Tür geklingelt hatte, hatte sie regelrechte Panik bekommen und angefangen zu zittern. Diese Angst würde nie vergehen. Ihr Leben lang würde sie darauf warten, dass irgendjemand sie aufspürte. Auch diesmal erschreckte sie sich, als es klingelte, obwohl sie doch wusste, dass es sich um den Jungen vom Lieferdienst handelte.
Schnell bezahlte sie das Essen und trug es anschließend in die Küche. »Jakob. Komm essen, bevor es kalt wird«, rief sie, während sie das Plastikbesteck und die Stäbchen verteilte.
Die Mahlzeit verlief schweigend. Appetitlos stocherte Doreé in ihrem Essen herum, bis sie es schließlich zu Jakob schob, der es eilig verschlang. Im Gegensatz zur ihr hatte er einen überaus gesunden Appetit. Es sollte sie freuen, dass es ihm schmeckte, doch es verstörte sie nur, wie gierig er alles in sich hinein stopfte. Eigentlich hätte er viel dicker sein müssen, doch sein Körper blieb schlank und athletisch. Oft überlegte sie, ihn nach dem Geschehen auf dem Berg Zion zu fragen, zu versuchen, ihm die Wahrheit über das, was dort mit ihm passiert war, zu entlocken, entschied sich aber jedes Mal dagegen. Zu groß war ihre Angst vor einer unangenehmen Offenbarung.
Sie wartete, bis Jakob fertig gegessen hatte, und räumte dann den Tisch ab. Anschließend schlurfte sie ins Badezimmer, drehte das Wasser in der Wanne auf und tat einen dicken Klecks Badeöl hinein. Während sich die Wanne füllte, zog sie sich aus und band ihre Haare zu einem Knoten. Seit fast vier Wochen lebten sie nun in dieser Stadt am Chiemsee, ohne dass ein Escorter oder ein Gideonist aufgetaucht war. Vielleicht hatte Ophelia geschwiegen und sie wähnten sie gefangen in der Gegenwelt. Ein Teil von ihr hoffte darauf. Der misstrauische Teil hingegen sah sich ständig um, wenn sie eine Straße entlang lief oder einkaufen ging, brachte ihr Herz zum Rasen, sobald sie jemand mit mehr als nur einem flüchtigen Blick bedachte. Zumindest würde sie es merken, wenn sich ihre Mutter näherte. Manchmal spürte sie ihre Gefühle, doch waren sie dumpf und weit entfernt.
Unwillkürlich dachte sie an die gepackten Reisetaschen, die neben der Kommode im Flur standen. Nur für den Fall, dass sie plötzlich fliehen mussten.
Seufzend glitt sie in das heiße, nach Apfelblüten duftende Wasser, genoss das Gefühl ihrer sich entspannenden Muskeln. Ein zartgoldener Schimmer erhellte das Wasser, brachte es zum Blubbern. Dass ihre Kräfte nach der Flucht aus der Gegenwelt nicht verschwunden waren, hatte sie nach einem Albtraum bemerkt. Schweißgebadet war sie in jener Nacht erwacht und hatte erschrocken festgestellt, dass sie schimmerte. Nicht so stark wie in der Gegenwelt, aber unübersehbar. Seitdem testete sie hin und wieder ihre Kraft, versuchte, sie zu steuern und herauszufinden, was sie alles konnte. Ihr selbstgemachter Whirlpool gefiel ihr dabei noch am besten, war jedoch leider auch das Einzige, was sie auf Kommando schaffte.
Das leise Blubbern und das Gemurmel des Fernsehers wurden zu einem fernen Rauschen, dass sie einlullte. Sie merkte kaum, wie sie in einen Dämmerschlaf fiel. Im Traum sah sie ihre Mutter, die unglaublicherweise weinte, während sie goldene Dornen aus ihrem Fleisch zog. Doch sobald sie einen herausgezogen hatte, schob sich an anderer Stelle ein weiterer durch ihr Fleisch. Doreé stand daneben, unschlüssig, ob sie fliehen oder ihre Mutter trösten sollte.
Plötzlich riss sie die Augen auf. Schlagartig war sie hellwach. Etwas hatte sich verändert. Der Schimmer erstarb. Das Blubbern versiegte. Schwer atmend sah Doreé sich um. Das Badezimmer sah aus wie zuvor, nichts hatte sich verändert. Oder doch? Etwas in ihrem Inneren war anders. Sie fühlte Schrecken, aber auch Aufregung und eine unbestimmte Präsenz. Die Türklingel ließ sie hochfahren. Ihr Herz trommelte gegen ihre Rippen. Durch das heiße Wasser hatten sich Schweißtropfen auf ihrer Stirn gebildet, von denen einer in ihr Auge rann. Ungeduldig wischte sie
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