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Ort des Grauens

Ort des Grauens

Titel: Ort des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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    Die Nacht war ruhig und merkwürdig still, als wäre diese düstere Gasse ein verlassener Strand, an dem sich kein Lüftchen rührte. Ein Strand im Zentrum eines Wirbelsturms. Ein schwacher Rauchgeruch hing in der Luft, obwohl kein Rauch zu sehen war.
    Frank Pollard lag mit dem Gesicht nach unten auf dem kalten Pflaster. Er bewegte sich nicht, nachdem er das Bewußtsein wiedererlangt hatte. Er wartete ab und hoffte, seine Verwirrung würde sich legen. Er blinzelte, versuchte, klar zu sehen. In seinen Augen schienen Schleier zu schweben. Immer wieder atmete er tief die kühle Luft ein und schmeckte den unsichtbaren Rauch. Infolge seiner beißenden Schärfe verzog er das Gesicht.
    Schatten, die an eine Versammlung in Roben gehüllter Gestalten erinnerten, erhoben sich drohend und kreisten ihn ein. Allmählich klärte sich seine Sicht. Trotzdem konnte er kaum etwas in dem schwachen gelblichen Licht erkennen. Es schimmerte irgendwo von weit hinten zu ihm her. Ein großer Müllcontainer, etwa zwei bis zweieinhalb Meter von ihm entfernt, zeichnete sich so undeutlich ab, daß er ihm für einen Moment unsagbar eigentümlich erschien -als sei er ein Artefakt aus einer außerirdischen Zivilisation. Frank starrte ihn eine Weile an, bis ihm schließlich klar wurde, um was es sich handelte.
    Er wußte nicht, wo er war, oder wie er hierher gelangt war. Er konnte nicht länger als ein paar Sekunden bewußtlos gewesen sein, denn sein Herz hämmerte, als wäre er erst vor kurzem um sein Leben gerannt.
    Glühwürmchen in einem Wirbelsturm ...
    Dieser Begriff schoß ihm durch den Kopf, aber er hatte keine Ahnung, was er bedeutete. Als er versuchte, sich darauf zu konzentrieren und seinen Sinn zu verstehen, spürte er, wie über seinem rechten Auge ein dumpfes Kopfweh begann.
    Glühwürmchen in einem Wirbelsturm ...
    Er stöhnte leise.
    Zwischen ihm und dem Container bewegte sich rasch und geschmeidig ein Schatten unter Schatten. Kleine, aber strahlende, grüne Augen betrachteten ihn mit eiskaltem Interesse.
    Ängstlich rappelte sich Frank auf die Knie hoch. Unwillkürlich entrang sich ihm ein dünner Schrei. Er klang alles andere als menschlich, eher wie das stumme Jammern eines Rohrblattinstruments. Der grünäugige Beobachter schlich davon. Eine Katze. Nur eine gewöhnliche schwarze Katze.
    Frank stand auf, schwankte benommen und wäre fast über einen Gegenstand gestolpert, der neben ihm auf dem Asphalt lag. Behutsam bückte er sich und hob ihn auf: eine Reisetasche aus weichem Leder, vollgepackt und erstaunlich schwer. Er nahm an, es sei seine. Er konnte sich nicht erinnern. Mit der Tasche in der Hand wankte er zu dem Container hinüber und lehnte sich gegen eine der rostigen Seitenwände.
    Er schaute sich um und bemerkte, daß er zwischen einigen Häuserzeilen stand, bei denen es sich um zweistöckige stuckverzierte Wohngebäude zu handeln schien. Alle Fenster waren dunkel. Auf beiden Seiten standen die Autos der Bewohner -mit den Schnauzen nach vorn -in überdachten Parkboxen. Das merkwürdige gelbe Glühen, herb und schwefelig, dem Produkt einer Gasflamme fast ähnlicher als dem Leuchten einer weißglühenden elektrischen Birne, stammte von einer Straßenlampe am Ende des Blocks, zu weit entfernt, um in der schmalen Gasse, in der er stand, Einzelheiten erkennen zu lassen. Als sich sein heftiges Atmen ein wenig gelegt hatte und sein Herz nicht mehr so stark klopfte und hämmerte, wurde ihm jäh bewußt, daß er keine Ahnung hatte, wer er war. Er kannte seinen Namen Frank Pollard -, aber das war auch schon alles. Er wußte nicht, wie alt er war, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente, woher er gekommen war, wohin er ging, oder warum. Er war so verblüfft von dieser Erkenntnis, daß ihm für einen Moment der Atem stockte. Dann schnellte sein Herzschlag wieder in die Höhe, und er stieß rasselnd die Luft aus.
    Glühwürmchen in einem Wirbelsturm ...
    Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Der Kopfschmerz, den er bislang nur über dem rechten Auge gespürt hatte, verteilte sich jetzt über die ganze Stirn.
    Unruhig blickte er nach links und rechts, suchte nach einem Gegenstand oder einem Aspekt der Szene, den er möglicherweise wiedererkannte, suchte irgend etwas, einen Anker in einer Welt, die ihm plötzlich so fremd war. Nachdem die Nacht ihm nichts zu bieten hatte, was ihm Sicherheit versprach, forschte er in sich selbst, suchte nach etwas Vertrautem in sich, doch sein eigenes Gedächtnis war noch dunkler als seine

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