ESCORTER (German Edition)
Knie machte keine Probleme, doch der Fuß, mit dem sie gegen den Stein gestoßen war, schmerzte bei der kleinsten Bewegung. Zischend sog sie die Luft ein und sackte auf den Boden zurück. Verfluchte Scheiße!
»Ist alles in Ordnung?« Ein Mann trat in ihr Blickfeld und kniete sich neben sie. »Ich habe gesehen, wie du gestürzt bist. Brauchst du Hilfe?«
Doreé musterte ihn skeptisch. Er trug Jeans und ein einfaches, weißes T-Shirt unter einer braunen, abgewetzten Lederjacke. Am Hals, genau in der Mitte zwischen dem rechten und dem linken Schlüsselbein, blitzte ein Tattoo unter dem Rand des T-Shirts hervor. Ein Piktogramm, das Doreé an das christliche Symbol des Fisches erinnerte.
Er sah nicht so aus, als würde er aus dieser Gegend kommen. Dafür waren seine braunen Haare zu lang und die Kleider sahen aus wie auf dem Flohmarkt gekauft.
Er hielt ihr die Hand hin. »Soll ich dir aufhelfen?«
Doreé nickte. Er sprach auch nicht wie ein Berliner. »Ja, danke.«
Er ergriff ihren Arm, schob den anderen unter ihre Achsel. Beim Aufstehen entwich ihr ein Schmerzenslaut.
»Kannst du auftreten?«, fragte er mit besorgter Miene.
»Ich weiß nicht.« Sie wollte nicht wehleidig erscheinen und versuchte es, doch sofort schoss ein stechender Schmerz durch ihren Fuß, als würde ihr jemand ein Messer in die Zehen rammen. Zischend sog sie die Luft zwischen die zusammengebissenen Zähne.
»Ich glaube, das wird nichts«, stellte er fest. »Wo wohnst du? Ich bringe dich nach Hause.«
Doreé deutete in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Da hinten, am Ende der Straße.«
»Das müssten wir schaffen. Alles klar, bist du bereit?« Er schlang einen Arm um ihre Taille und stützte sie, während sie auf einem Bein den Gehweg entlang hüpfte.
»Wie heißt du?«, fragte er.
»Doreé, und du?«
»David.«
Doreé warf einen kurzen Blick auf sein scharf geschnittenes Profil. »Danke für deine Hilfe, David.«
»Kein Problem. Das tu ich doch gern.« Ein Lächeln erhellte sein Gesicht und Doreés Aufmerksamkeit wurde von zwei Grübchen in seinem Mundwinkel abgelenkt. Ihr Fuß sackte zu Boden, wollte automatisch laufen. Sie zuckte zusammen, wäre beinahe erneut gestürzt, wenn David sie nicht festgehalten hätte. »Aaah, Scheiße.«
»Das solltest du dringend untersuchen lassen«, riet er. »Soll ich dich tragen?«
Doreé warf ihm einen missbilligenden Blick zu. Zwar war sie schlank, doch wegen ihrer Größe gewiss nicht der Typ Frau, der von Männern herumgetragen wurde. »Nein, es geht schon.«
»Sicher?«
Sie nickte und humpelte weiter. »Woher kommst du?«
Er warf ihr einen überraschten Blick zu. »Meinst du gebürtig oder wohntechnisch?«
»Beides. Du bist ganz sicher nicht von hier. Wohnst du in Berlin oder bist du ein Touri?«
»Ich wohne in Berlin, doch geboren bin ich in der Slowakei.«
»Dafür sprichst du aber sehr gut Deutsch. Fast ohne Akzent.«
Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. Doreé musste sich zwingen, nicht unentwegt auf seine Grübchen zu starren, die sich bildeten, sobald er lächelte. Und er lächelte oft. »Danke, das könnte daran liegen, das ich schon seit meinem dritten Lebensjahr in Deutschland bin.«
»Ah, okay. Und was hast du an einem Samstagmorgen um sechs im Babelsberger Villenviertel zu suchen?«
Er warf einen Blick auf die Anwesen um sich herum und tat überrascht. »Das ist das Villenviertel? Ist mir gar nicht aufgefallen. Ist es denn für Normalsterbliche verboten, sich hier aufzuhalten?«
Gegen ihren Willen musste sie lachen. Er wich ihrer Frage aus, aber auf eine überaus charmante Art. »Naja, was auch immer dich hierher geführt hat, war wohl mein Glück.«
»Um ehrlich zu sein, bin ich dir gefolgt«, gab er unvermittelt zu.
Doreé hob überrascht die Augenbrauen. Seine plötzliche Offenheit irritierte sie. »Du hast mich gestalkt?«
Er lächelte entschuldigend. »Tut mir leid, ich will jetzt nicht klingen wie ein Irrer, aber genauso war es. Als ich dich gesehen habe, wie du die Straße entlang gejoggt bist, hast du sofort mein Interesse geweckt. Mein erster Impuls war, dich anzusprechen, doch das fand ich dann irgendwie unhöflich, so mitten im Sport.«
Sein Lächeln hatte etwas Unbedarftes, eine entspannte Natürlichkeit und Wärme, die sich in seinen Augen widerspiegelte. Trotz Tätowierung und Lederjacke und obwohl er sie gestalkt hatte, wirkte er vertrauenserweckend und sympathisch.
»Ich habe noch nie jemanden mit so langen Haaren gesehen«, fuhr er fort.
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