Esther Friesner
nicht tun, Thelfel«, riet Orton Löffelbieger. »Was, wenn es auch ein Hexer ist? Was, wenn er dich erwischt und … ?«
Thelfel verwarf höhnisch jeden Gedanken daran. »Diese Hexer sind doch ein abergläubischer, feiger Haufen. Von denen habe ich nichts zu befürchten.« Mit diesen Worten sprang er aufs Fenstersims, glitt draußen die Dachrinne hinunter, verwandelte sich auf halber Strecke in eine Fledermaus und flatterte in die Nacht hinaus.
Es war das letzte Mal, daß wir ihn lebend zu Gesicht bekamen. Am nächsten Morgen entdeckte der Obergärtner den zerfetzten Leichnam einer Fledermaus unter dem Fenster der Edelfrau Inivria. Ich war gerade mal wieder beim Rattenkloppen, weshalb ich auch mitbekam, wie der Obergärtner zu Velma Chefköchin sagte: »So etwas Seltsames hast du noch nie gesehen. Sah so aus, als sei das arme Ding von einem riesigen Vogel in Stücke gerissen worden.«
»Vögel töten keine Fledermäuse«, erwiderte Velma abfällig. »Hältst du das vielleicht für einen Witz?«
»Einen schönen Witzbold würde ich abgeben! Erzähl das doch mal dem riesigen Haufen Rotkehlchenfedern, der den ganzen Kadaver bedeckt«, schoß der Gärtner zurück. Er hätte vielleicht noch mehr erzählt, wurde jedoch vom Eintreffen des Hufschmieds unterbrochen, den Meister Thengor angeheuert hatte, um die Fenster der Edelfrau Inivria zu vergittern.
Wie dem damals auch gewesen sein mochte, jedenfalls saß ich nun mal wieder da, wie schon so viele Male zuvor, und wartete darauf, daß irgendeine glücklose Ratte ihre schnurrbärtige Nase aus dem Loch steckte und dafür den Schädel zertrümmert bekam. Und während ich wartete, die Augen auf das Loch geheftet, spitzte ich die Ohren, damit mir kein möglicherweise nützliches Geplauder der Dienerschaft entgehen mochte. Ich brauchte nicht lange zu warten.
»… hat er die ganzen jungen Kutten an sein Sterbebett gerufen«, sagte Bini, das Mädchen, das Velma in der Kunst des langsamen Vergiftens
- ich meine natürlich des Kochens - unterrichtete. Bini war noch nicht lange genug bei uns, um sich einen Namen verdient zu haben. Sie mußte in der Küche viel zu viele verschiedene Aufgaben wahrnehmen, als daß eine davon besonders herausgeragt hätte.
(Hätte mich jemand gefragt, hätte ich ihm zwar sagen können, daß Bini durchaus zwei Spezialitäten besaß, die mir mehr als herausragend schienen, aber das ist leider die Sorte Äußerung, für die man eins mit der Suppenkelle übergebraten bekommt.) Velma schnaubte. »Das ist doch Schnee von gestern, Bini, mein Mädchen. Als ich da oben war, habe ich selbst gesehen, wie sie sich anstellten, um sich ihren Anteil an der Magik des alten Mannes abzuholen.«
Sie sprach das Wort so aus, als wüßte sie genau, wovon sie redete.
Ja, wußte denn etwa jeder in dem ganzen riesigen Haushalt von Magik - nur ich nicht? Das tat weh.
»Anteile sind nicht«, widersprach Bini. Sie klang sehr zuversichtlich.
»He! Was meinst du denn damit?«
»Ach, nichts.« Ich traute mich nicht, nach ihr zu schielen, vermutete aber, daß sie eine selbstzufriedene Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Miene aufgesetzt hatte. Dann hörte ich ein lautes Klatsch!, gefolgt von einem noch lauteren: »Aua! Weshalb hast du mich geschlagen, Fräulein Vee?«
»Weil du eine freche kleine verschwiegene Göre bist, deshalb! Wenn du etwas weißt, spuck es gefälligst aus, damit wir es alle erfahren.«
Die anderen neun oder zehn Dienstboten in diesem Teil des Küchentrakts von Meister Thengor bekundeten im Chor ihre Zustimmung. Wenn man sein ganzes Leben damit zubringt, Gemüse zu schälen oder Fleisch zu zerteilen oder sich um den Hund in der Tretmühle zu kümmern, der den Bratspieß dreht, oder Feuerholz und Wasser zu holen, dann möchte man auf keine Abwechslung verzichten.
»Na gut.« Bini gab schnell nach. Ich hätte darauf gewettet, daß ihr die große Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, durchaus behagte.
»Na ja, in den letzten paar Wochen bin ich mit diesem netten jungen Meister Zollie spazierengegangen und …«
»Welcher >Meister Zollie« Velma hörte sich zornig und mißtrauisch an. »Du meinst doch wohl nicht Zoltan Bösherr, oder?«
»Er sagte, ich soll ihn Zollie nennen«, verteidigte sich Bini.
»Das ist mit völlig egal, und wenn er gesagt hat, du sollst ihn einen schwindsüchtigen Kackspecht nennen! Hier unter uns nennen wir keinen einzigen Studenten Meister, egal wie hoch er die Nase trägt, bis er nicht offiziell befördert wurde und
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