Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Esther Friesner

Titel: Esther Friesner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Katze läßt das Zaubern nicht
Vom Netzwerk:
reichlich langweilig, ein großes schwarzes Loch anzustarren. Es gab auch viel zu viel Ablenkung.
    Ständig kamen Dienstboten von oben in die Küche hinunter und brachten frische Neuigkeiten von den Ereignissen in Meister Thengors Gemächern. Nachdem die Edelfrau Inivria die Studenten in Reih und Glied hatte antreten lassen und ihnen befohlen hatte, die oberste Stufe des Bettes zu erklimmen, hatte es sich der sterbende Hexer offenbar noch einmal anders überlegt.

    Anstatt nun Teile von seiner Magik auszuhändigen, begann er mit einer Abschiedsrede. Er war immer noch damit zugange. Der jüngsten Meldung zufolge, waren ein paar Studenten der untersten Grade schon dabei eingeschlafen und mehrere Plattformstufen hinuntergepurzelt.
    Selbst Zoltan Bösherr hatte einen seiner geringeren Dämonen herbeizitiert und dem Ungeheuer aufgetragen, ihn immer wieder mal zu zwicken, damit er die Augen offenhalten konnte.
    »Das sieht dem alten Griesgram ähnlich«, knurrte Velma.
    »Hat ihm immer schon Spaß gemacht, Leute zu quälen.«
    »Na ja, ewig hält er das nicht durch«, bemerkte der Gärtner, Ich kannte das Gefühl. Wenn man längere Zeit ein Rattenloch anstarrt, wird einem ganz anders. Und dieses hier hatte eine gar merkwürdige Wirkung auf mich. Es sah völlig anders aus als jedes Loch, das ich bisher beobachtet hatte.
    Schwärzer. Tiefer. Kälter. Die Kanten waren überhaupt nicht uneben und rauh, wie das bei einem richtigen, genagten Rattenloch zu sein pflegte. Ja, eigentlich sah es überhaupt nicht genagt aus; es sah so aus … ich war mir nicht ganz sicher … als ob es von etwas sehr viel Schlimmere als einfachen Ratten angelegt worden sei.
    Das war ein ziemlich dämlicher Gedanke, und ich bemühte mich auch, ihn zu vertreiben. Das ist ein ganz gewöhnliches Rattenloch, Kendar, du Blödmann, dachte ich. Es stammt nur … es stammt einfach nur von ordentlicheren Ratten, das ist alles.
    Und wie, um mir recht zu geben, erschien im selben Augenblick die größte, kühnste, merkwürdigste Ratte, die ich je ihre schnurrbärtige rosa Nase aus einem Loch hatte stecken sehen, und starrte mich mit riesigen grünen Augen an.
    Ich muß einräumen, daß sie wirklich ziemlich merkwürdig aussah.
    Ratten haben keine spitzen Ohren. Ratten haben kein Fell an Schwanz und Pfoten. Ratten haben keinen dreieckigen Kopf und keine kurze Nase. Ratten sperren nicht das Maul auf, um Menschen anzuzischen, und sie haben auch keine weißen, nadelspitzen Zähne anstelle von großen gelben Hauern. Wenn ich es nicht besser gewußt hätte, hätte ich gesagt, daß das überhaupt keine Ratte war.
    Aber was hätte es sonst sein sollen? Ich meine, schließlich kam sie doch aus einem Rattenloch heraus. Sicher, es bestand kein Zweifel, daß es eine außerordentlich seltsame Ratte war; doch seltsam hin, seltsam her, ich wußte, was ich zu tun hatte.

    »Kommkommkommkommkomm, Rattilein«, flötete ich und packte meinen Stock fester. »Süüüüßes Rättchen!
    Komm schon raus, dann zeigt dir Onkel Kendar mal den Onkel Stock, damit Tante Velma ihn nicht immer mit Frau Kelle schlägt.
    Kooooomm, Ratti, Ratti, Ratti!«
    »Miau!« sagte die Ratte und huschte aus dem Loch.
    Ob sie schnell war? Fragt lieber nicht. Die meisten Ratten sind schnell, aber diese hier steckte sie alle in die Tasche. Sie flitzte so schnell unter meinem Schemel hindurch, daß ich beim Versuch, sie zu erschlagen, rücklings zu Boden kippte.
    Ich vergeudete keine Zeit auf dem Rücken. Ich rappelte mich einfach auf und jagte meiner Beute nach.
    Die Ratte raste schnurgerade über den Küchenboden; ich raste ihr nach. Die Ratte huschte die Treppe zum Festsaal hinauf, ich immer hinterher. Die Ratte sauste zwischen den Füßen eines Dienstboten im Obergeschoß hindurch, und ich stieß ihn beiseite, eine Entschuldigung hervorkeuchend.
    Wir jagten durch den ganzen Festsaal, hinaus in den großen Empfangssaal, und alles dauerte keinen halben Atemzug.
    Im Lauf schwang ich meinen Rattenklopperknüttel. Und verfehlte ständig mein Ziel.
    Na ja, ich verfehlte zwar die Ratte, leistete aber dafür ganz hervorragende Arbeit an drei Vasen, einer Kristallkugel und der Nase einer Gipsbüste von Meister Thengor.
    Wir liefen immer weiter, direkt auf die messingverstärkten Türen von Meister Thengors Schlafgemach zu. Ich bremste etwas ab, fürchtete aufzuprallen, doch als wir gerade einen Stockschwung davon entfernt waren, öffnete plötzlich jemand die linke Tür. Es war eine von Meister Thengors Mätressen,

Weitere Kostenlose Bücher