Eulen
gespannt aus dem Fenster. Sieben Reihen hinter ihm quälte Dana Matherson gerade einen Sechstklässler namens Louis. Louis stammte aus Haiti und Dana kannte keine Gnade.
Als der Bus an der Kreuzung anhielt, steckte Roy den Kopf zum Fenster hinaus und schaute die Straße auf und ab. Niemand rannte. Sieben Schüler stiegen in den Bus ein, aber der fremde Junge ohne Schuhe war nicht dabei.
Am nächsten Tag war es dasselbe und auch am übernächsten. Am Freitag hatte Roy im Grunde schon aufgegeben. Er saß zehn Reihen von der Tür entfernt und las gerade einen X-Man-Comic, als der Bus um die bekannte Ecke bog und langsamer wurde. Eine Bewegung, die er aus dem Augenwinkel wahrnahm, ließ Roy aufsehen – und da war er, auf dem Gehweg, und wieder rannte er! Dasselbe Basketballhemd, dieselben schmutzigen Shorts, dieselben schwarzen Fußsohlen.
Die Bremsen des Schulbusses quietschten, Roy schnappte sich seinen Rucksack und sprang auf. Im selben Moment legten sich zwei große, verschwitzte Hände um seinen Hals.
»Wo willst’n hin, Cowgirl?«
»Lass mich los«, keuchte Roy und versuchte freizukommen.
Der Griff um seinen Hals wurde fester. Roy spürte Danas Aschenbecheratem an seinem rechten Ohr: »Wieso haste denn deine Stiefel heute nicht an? Hat man schon mal von ’nem Cowgirl in Air Jordans gehört?«
»Das sind Reeboks«, quiekte Roy.
Der Bus war zum Stehen gekommen und die ersten Mädchen und Jungen stiegen ein. Roy war wütend. Er musste es zur Tür schaffen, bevor der Fahrer sie wieder schloss und der Bus losrollte.
Aber Dana machte keine Anstalten, ihn loszulassen, sondern bohrte seine Finger in Roys Luftröhre. Roy kriegte kaum noch Luft, und je mehr er strampelte, desto schlimmer wurde es.
»Du solltest dich mal sehen«, spottete Dana hinter ihm. »Rot wie ’ne Tomate!«
Prügeln im Bus war streng verboten und Roy kannte die Regel ganz genau, aber er wusste nicht, was er sonst tun sollte. Er ballte die rechte Faust und führte sie mit aller Kraft über seine Schulter, ohne zu sehen, wohin. Der Hieb landete auf etwas Feuchtem, Gummiartigem.
Ein erstickter Schrei – dann rutschten Danas Hände von Roys Hals. Roy schnappte nach Luft und stürzte zur Tür, gerade in dem Moment, als ein großes Mädchen mit blonden Locken und einer roten Brille die Stufen hochkam. Roy drängte sich an ihr vorbei und sprang auf den Gehweg.
»Sag mal, was soll das?«, rief das Mädchen.
»He, hier geblieben!«, brüllte der Busfahrer, aber Roy war kaum noch zu sehen.
Der rennende Junge hatte einen großen Vorsprung, aber Roy glaubte, er könne nah genug dranbleiben, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Der andere würde dieses Tempo nicht die ganze Zeit beibehalten können, so viel war Roy klar.
Er folgte ihm an mehreren Häuserblocks vorbei – über Zäune, durch Gebüsch, zwischen kläffenden Hunden und Rasensprengern und Schwimmbecken hindurch. Mit der Zeit merkte Roy, wie er müde wurde. Der Junge ist wirklich erstaunlich, dachte er. Vielleicht trainiert er ja für eine Mannschaft.
Einmal hatte Roy den Eindruck, als hätte der Junge kurz über die Schulter geschaut, als wüsste er, dass jemand hinter ihm her war, aber sicher war Roy sich nicht. Der andere hatte immer noch einen großen Vorsprung und Roy schnappte schon nach Luft wie eine Forelle an Land. Sein Hemd war klatschnass und der Schweiß lief ihm über die Stirn und brannte in den Augen.
Das letzte Haus in der Siedlung war noch im Bau, doch der schuhlose Junge rannte unbekümmert weiter, obwohl Holz und lose Nagel auf dem Grundstück herumlagen. Drei Männer, die gerade dabei waren, Fertigbauwände einzusetzen, brüllten ihm etwas hinterher, aber der Junge wurde nicht langsamer. Einer der Arbeiter versuchte, Roy am Arm festzuhalten, erwischte ihn aber nicht.
Plötzlich fühlte Roy wieder Gras unter den Füßen – das grünste, weichste Gras, das er je gesehen hatte. Er begriff, dass er auf einem Golfplatz war und dass der blonde Junge eine lange, saftig grüne Spielbahn hinunterrannte.
Auf der einen Seite des Rasens stand eine Reihe hoher australischer Kiefern, auf der anderen Seite gab es einen künstlichen See. In einiger Entfernung sah Roy vier Menschen in heller Kleidung, die gestikulierend auf den barfüßigen Jungen zeigten, der gerade an ihnen vorbeirannte.
Roy biss die Zähne zusammen und lief weiter. Seine Beine fühlten sich an wie nasser Zement und seine Lungen brannten. Knapp hundert Meter vor ihm bog der andere auf einmal scharf nach
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