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weiterplapperte: Auf der Rue de Rivoli sei ihr Graf Subow begegnet, ganz zufällig; er habe sich von ihrem neuen Kleid sehr beeindruckt gezeigt, sehr beeindruckt! Paulus konnte sich den armen Grafen gut vorstellen, einen der unterwürfigsten, höflichsten Adligen aller Zeiten, wie er sich verpflichtet fühlte, Olgas sehr teures Kleid zu loben, ad infinitum oder bis sie zufrieden war, je nachdem, was länger dauerte.
Sicher wollte er sich jeden Knopf einzeln ansehen, was?
Also Papa!, rief die liebe Olga und zog eine Schnute.
Es steht dir bestimmt sehr gut.
Aber Robert blickte Coca kläglich an, und Coca schien den Tränen nah. Er versuchte, sich einzureden, das liege nur daran, dass der Junge gleich weg sein würde. Als sie Cocas kleine Küchelchen aufgegessen hatten, stand er auf, um Roberts Koffer nach draußen zu bringen, obwohl Olga protestierte, für so etwas sei er jetzt viel zu wichtig und berühmt. Der Baron, der den Familiennamen von Kutzschenbach trug und mit dem Coca entspannter umging als er, hatte Olga eindeutig ein tolles Auto gekauft, einen Mercedes neuester Bauart. (Warum war er nicht mitgekommen? Olga hatte nichts gesagt.) Der brandneue Stander mit dem Hakenkreuz, schwarz auf blutrotem Grund, erhob sich aus seiner ver
nickelten Halterung. Er stand ein wenig unsicher da und bewunderte das Auto, bis sie mit dem Jungen herauskam. Er fragte sich, wie gut ihr Mann sie bändigen konnte. Streng genommen war es nicht mehr an ihm, sich Sorgen um sie zu machen, aber natürlich kann ein Vater seine Verantwortung nie ganz abstreifen. Zuerst umarmte er sie, dann schüttelte er Robert die Hand; Coca küsste sie beide, und sie fuhren ab, wobei Olga seiner Meinung nach etwas zu schnell in die Kurve ging, aber sie war eine sehr gute Fahrerin. Jetzt allerdings … Eines der Dinge, die er über seine Frau gelernt hatte, war, dass sie es unbedingt zeigen musste, wenn sie unglücklich oder wütend war; jeder Versuch, sie vor dem Gefühlsausbruch zu einem Meinungsaustausch zu bewegen, hätte alles nur schlimmer gemacht. Sich gut mit Coca zu vertragen, war ihm immer sehr wichtig gewesen, nicht nur, weil er persönliche Auseinandersetzungen hasste; er liebte seine Frau sehr, das war die Wahrheit; und er fühlte sich schlecht, wenn ihr etwas wehtat. Und so brachten ihn Logik und Zuneigung dazu, auf sie einzugehen, anstatt sie einfach zu schelten, und er sagte ruhig und fest: Das sind alles politische Entscheidungen, Coca. Außerdem gibt es militärische Gründe genug …
Aber was soll aus uns allen werden?
Wie meinst du das?
Wer von uns wird noch erleben, wie das ausgeht?
Oh, sagte er, die Chancen, dass wir noch in diesem Jahr den Sieg erringen, stehen recht gut.
10
Persönlich hielt er den Schauplatz Nahost für den Kriegsausgang letztlich für viel entscheidender. Nur dort konnten die Briten geschlagen werden.
Er zog sich frische weiße Handschuhe an, beugte sich über den Schreibtisch und studierte das schneeweiße Blatt mit seinen Zeichen:. Die sommerlichen Ahorn-, Eichen- und Lindenbäume ritten Berlin wie Hexen.
2
Am 5.8.42 näherte sich Generalleutnant Paulus, der nun die 6. Armee befehligte, Stalingrad, ganz nach den Richtlinien der Operation Blau; das deutsche Wort Blau steht dabei für mich für einen grauen Blauton und sieht aus wie das Kaspische Meer an einem wolkenverhan
genen Tag. Das vorrangige Ziel der Operation Blau war die Einnahme der russischen Ölfelder im Kaukasus. Stalingrad, diesen nachträglichen Einfall des Schlafwandlers, konnte man am Horizont im Osten kaum erkennen. Die Panzer dröhnten weiter. Auf der braunen Steppe brannte der August.
Frisch von seinem Sieg in Charkow, das Gesicht auch mit zweiundfünfzig noch jugendlich straff, ein nagelneues Ritterkreuz an der linken Brusttasche und rechts einen flugzeuggeraden Adler mit dem Hakenkreuz in den Klauen, saß Paulus in seinem Zelt und hörte Beethoven.
Das Privileg einer Begegnung mit dem Führer war ihm zuletzt vor zwei Monaten vergönnt gewesen, am 1.6.42. (Von Manstein, der Held des Unternehmens Störfang, zerschlug die Verteidigungsstellungen von Sewastopol, ein Meisterstück, für das der Führer ihn zum Feldmarschall ernennen sollte; diearbeitete Vergeltungsmaßnahmen gegen das Dorf Lidice aus; Rommel trieb in Afrika die Briten vor sich her.) Der Führer wurde nach Poltawa eingeflogen, wo sich gegenwärtig das Hauptquartier der Heeresgruppe Süd befand. Paulus legte den grauen Feldmantel ab und warf sich in die Paradeuniform:
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