Eve & Caleb - 01 - Wo das Licht war
und rannte so schnell Richtung Mensa, dass Staub hinter ihr aufwirbelte. Ich sah ihr mit zusammengekniffenen Augen nach. Bei der Zeremonie konnte ich keine Überraschungen brauchen; meine Rede bereitete mir schon genug Sorgen. Es wurde gemunkelt, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Schule sogar der König anwesend sein würde. Ich wusste, es war ein Gerücht, das die zu Übertreibungen neigende Maxine in Umlauf gebracht hatte, aber trotzdem. Es war ein wichtiger Tag – der wichtigste Tag in unserem Leben.
»Schulleiterin Burns?«, fragte ich. »Würden Sie mich bitte entschuldigen? Ich habe meine Vitamine im Wohnheim vergessen.« Ich tastete die Taschen meines Kittels ab und tat, als ärgerte ich mich über mich selbst.
Die Schulleiterin stand neben der langen Essenstafel. »Wie oft muss ich euch Mädchen noch daran erinnern, dass ihr sie in euren Schultaschen aufbewahren sollt? Geh schon, aber trödel nicht herum.« Während sie das sagte, streichelte sie die schwarz angesengte Schnauze des Spanferkels.
»Selbstverständlich, Schulleiterin«, versprach ich und spähte über die Schulter hinweg in Ardens Richtung. Sie war bereits hinter der Mensa verschwunden. Ich lief los und ließ Pip mit der hastigen Bemerkung »Bin gleich wieder da!« stehen.
Ich rannte um die Ecke und näherte mich dem Haupttor der Schule. Arden kauerte neben dem Mensagebäude und holte etwas unter einem Busch hervor. Sie zog sich ihren Kittel über den Kopf und streifte stattdessen einen schwarzen Pullover über. In der untergehenden Sonne leuchtete ihre Haut milchweiß.
Während sie Stiefel anzog, ging ich langsam auf sie zu – es waren dieselben schwarzen Lederstiefel, die die Wächterinnen trugen. »Egal, was du vorhast, daraus wird nichts«, verkündete ich und weidete mich daran, dass sie beim Klang meiner Stimme erschrocken aufblickte.
Arden hielt einen Moment inne, doch dann zerrte sie an den Schnürsenkeln, als wolle sie ihre Knöchel strangulieren. Es dauerte eine Minute, bevor sie etwas sagte, und selbst dann schaute sie mir nicht ins Gesicht. »Bitte, Eve«, sagte sie ruhig, »geh einfach weiter.«
Ich kniete mich ebenfalls auf die Erde, dabei hob ich den Saum meines Kittels, damit er nicht schmutzig wurde. »Ich weiß, dass du irgendwas vorhast. Du wurdest am See gesehen.« Ardens Bewegungen waren fahrig. Sie wandte den Blick nicht von den Stiefeln ab, während sie die Schnürsenkel zu Doppelschleifen band. In einem Bewässerungsgraben neben dem Busch lag ein Rucksack, in den sie ihren grauen Schulkittel stopfte. »Wo hast du die Wächteruniform gestohlen?«
Sie tat, als hätte sie mich nicht gehört, und spähte stattdessen durch eine Lücke im Gebüsch. Ich folgte ihrem Blick zum Tor, das sich langsam öffnete. Die Lebensmittellieferung für die morgige Zeremonie traf gerade in einem geschlossenen grünschwarzen Geländewagen der Regierung ein. »Das hat nichts mit dir zu tun, Eve«, zischte Arden schließlich.
»Womit dann? Willst du dich als Wächterin ausgeben?« Ich griff nach der Trillerpfeife an meinem Hals. Ich hatte Arden noch nie zuvor angezeigt, nie irgendetwas von dem, was sie angestellt hatte, der Schulleiterin gemeldet, aber die Zeremonie war einfach zu wichtig – für mich, für alle. »Es tut mir leid, Arden, aber ich kann dich nicht gehen lassen –«
Bevor ich die Pfeife an den Mund führen konnte, riss mir Arden die Kette vom Hals und schleuderte sie auf den Rasen. Mit einer schnellen Bewegung drückte sie mich gegen das Gebäude. Ihre Augen glitzerten feucht und waren blutunterlaufen.
»Hör gut zu«, sagte sie langsam. Ihr Unterarm presste sich gegen meinen Hals, ich bekam kaum Luft. »Ich verschwinde hier in genau einer Minute. Wenn du dir selbst einen Gefallen tun willst, gehst du zur Feier zurück und tust so, als hättest du das hier nie gesehen.«
Keine sechs Meter von uns entfernt entluden ein paar Wächterinnen den Jeep und schleppten die Kisten ins Haus, während die anderen ihre Maschinengewehre auf den Wald gerichtet hielten. »Aber wo willst du hin …«, keuchte ich.
»Wach endlich auf!«, zischte sie. »Du glaubst, du wirst einen Beruf erlernen?« Sie deutete auf das Ziegelgebäude auf der anderen Seite des Sees. In der zunehmenden Dunkelheit war es kaum noch zu erkennen. »Hast du dich nie gefragt, warum die Absolventinnen sich nie im Freien aufhalten? Oder warum sie ein separates Tor haben? Oder warum es keine Fenster gibt? Glaubst du wirklich, sie schicken dich dorthin,
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