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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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der die Staubkörner umeinander wirbelte und sämtliche Planeten aus ihren Bahnen schleuderte, dann würde die Erde von einer ebenso unerwarteten wie totalen Katastrophe zerstört.
    »Beim Essen wird nicht gespielt, fünf Schläge Zugabe«, sagte der Vater, der die Milchstraße aus Staubkörnern offenbar entdeckt hatte.
    Aber fünfunddreißig Schläge mit der Kleiderbürste waren noch immer kein Grund zur Besorgnis. Es war leicht, sich bei fünfunddreißig Schlägen mit der Kleiderbürste zu konzentrieren, zumindest, wenn die Haut an Hintern und Rücken einigermaßen heil war.
    Wieder betrachtete er den Lichtstrahl mit den Staubkörnern. Er spielte mit dem Gedanken, das Planetensystem noch einmal anzublasen, im Tausch gegen fünf weitere Schläge. Aber er tat es dann doch nicht, es hätte wie eine absichtliche Provokation aussehen können, dann würde der Vater nicht nur fünf Schläge dazugeben, sondern auf ein schlimmeres Instrument als die Kleiderbürste umsteigen. Das alles wäre die Sache nicht wert.
    Er stellte sich nur vor, wie er in das Planetensystem blies.
    Hinter den Messingklappen des Kachelofens knisterte das Feuer. Es hörte sich an wie Tannenholz und nicht wie das teurere Birkenholz. Hinten an der einen Querwand beleuchtete das grelle Sonnenlicht ein helles Viereck auf der Tapete. Dort hatte am Vortag noch ein Bild gehangen. Jetzt hatten sie also noch ein Bild verkauft. Als die Familie aus der reichen Vorstadt hierher gezogen war, war noch die ganze Wand im Esszimmer mit Bildern bedeckt gewesen.
    Nach dem Essen half er sorgfältig beim Abräumen, um nicht weitere Zugaben herauszufordern. Danach ging die Mutter in die Küche, um Kaffee zu kochen. Und er musste mit dem Vater ins elterliche Schlafzimmer, um die Nachtischprügel über sich ergehen zu lassen.
    »Zieh die Hose runter und beug dich vor«, sagte der Vater gewohnheitsmäßig und griff nach der Kleiderbürste.
    Er hörte dem Tonfall des Vaters an, dass keine direkte Gefahr bestand. Der Vater war an diesem Tag gelassen und beherrscht und die Sache würde rasch hinter ihnen liegen. Er zog die Hose nach unten und beugte sich vor. In dem Moment, in dem der Vater den Arm zum ersten Schlag hob, holte Erik tief Luft, kniff die Augen zusammen und ballte die Fäuste. Alles ging schnell, und dann blieb nur noch die Demütigung.
    »Wieder Freunde?«, fragte der Vater und streckte die Hand aus.
    Wenn er die Hand nicht schüttelte, würde er die gleiche Tracht Prügel ein weiteres Mal kassieren.
    »Wieder Freunde«, sagte er und lächelte. Er gab dem Vater die Hand. Dann zog er die Hose hoch und ging auf sein Zimmer und zum Plattenspieler. Elvis Presleys neues Stück hieß »Heartbreak Hotel«.
    Er lag auf dem Bett und betrachtete die Spinnweben am Stuck und das Muster der Risse in der Decke, und er sah sich selbst als Rock-‘n’-Roll-König auf einer Bühne weit weg in dem freien Land im Westen. Er versuchte, Elvis Presleys fremde Wörter nachzusprechen, und blieb lange so liegen und fühlte sich ganz und gar glücklich.
    Es war ein Tag, an dem einfach alles perfekt verlaufen war. Es hatte auch keine besonders schlimmen Nachtischprügel gegeben, und dass sie so früh gegessen hatten, bedeutete, dass der Vater abends früh zur Arbeit musste. Der Vater arbeitete als Oberkellner, nannte sich aber lieber »Direktor«. Wenn er früh arbeiten musste, konnte man ins Kino gehen. Es gab drei Kinos, in denen Erik Filme sehen konnte, die eigentlich erst ab achtzehn freigegeben waren, und das nächstgelegene zeigte einen Kriegsfilm, der in Korea spielte. Den wollte er sehen, und er wollte allein hingehen, um ohne irgendwelches Gerede mit anderen genießen zu können, dass an diesem Tag alles gut gegangen war.
    Er hatte Leuchtturm zusammenschlagen müssen. Das Ganze hatte sich am Ende als unumgänglich erwiesen, und wenn er es nicht geschafft hätte, dann hätte er seine Clique verloren. Die Clique gehorchte nur, solange man siegte. Das war eigentlich ungerecht, da es für jemanden, der eine Clique kommandierte, eigentlich wichtigere Dinge gab, als eine Schlägerei zu gewinnen. Aber so ein Zweikampf war der überzeugendste Befähigungsnachweis, man musste ihn nur gewinnen, und als er sich die Sache genauer überlegt hatte, war ihm aufgegangen, dass er seit über einem halben Jahr wusste, dass der Tag kommen würde, an dem Leuchtturm ihn herausforderte.
    Leuchtturm würde die Clique niemals übernehmen können. Leuchtturm konnte sich prügeln, aber er konnte nicht

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