Ewigkeit
und seine Besorgnis waren deutlich, als er den ein Stadion langen Trauerzug über die von der Sonne gepeinigte gepflasterte Straße zum Handelshafen führte, um den zarten Körper der Sophe zu dem Schiff zu bringen, das ihn hinaus aufs Meer tragen sollte. Dem Vater folgten seine zwei Brüder, Rhitas Onkel, die im Hypateion Sprachlehrer waren. Danach kam die ganze Fakultät der vier Schulen, in Grau und Weiß gekleidet. Rhita ging einen Schritt neben und hinter ihrem Vater. Sie sagte zu sich: Ich tue, was sie von mir wollte.
Rhita studierte Mathematik und Physik. Das war es, war sie von der Sophe mitbekommen hatte: Ihre Talente.
Ein Jahr nach dem Begräbnis, als der Frühling die Obstgärten und Weinberge ergrünen ließ und die Olivenhaine zu blühen begannen, führte Rhitas Vater sie zu einer geheimen Höhle ein Dutzend Stadien nordwestlich von Lindos, nicht weit von der Stätte ihrer Geburt. Er weigerte sich, ihre Fragen zu beantworten. Sie war jetzt eine erwachsene Frau, oder hielt sich zumindest dafür. Sie hatte sich bereits einen Liebhaber genommen und wollte nicht herumkommandiert und geheimnisvoll zu Plätzen geführt werden, die sie kannte und die ihr gleichgültig waren. Aber ihr Vater bestand darauf, und sie wollte sich ihm nicht widersetzen.
Die Höhlen waren durch dicke, schmale Türen in Stahlrahmen versperrt, die durch Alter rostig waren, aber gut geölte Scharniere hatten. Zu ihren Köpfen manövrierte ein strahlgetriebenes Schwingenflugzeug der Oikoumene, vermutlich aus einem der Wüsten-Aerodromoi in Kilikia oder Ioudaia, und hinterließ fünf weiße Kratzer an dem zartblauen Himmel.
Ihr Vater öffnete die Türen zu den Gewölben mit einem gewichtigen Schlüssel und neun Drehungen an einem Kombinationszifferblatt, das sich in einem verschlossenen Fach befand. Er ging ihr voran in die kühle Dunkelheit, vorbei an Kisten mit Wein und Olivenöl und Vorräten an Trockennahrung, die in Stahlzylindern hermetisch versiegelt waren, und dann durch eine zweite Tür in einen kleinen rückwärtigen Tunnel. Erst als die Finsternis unerträglich wurde, drückte Rhamon einen schwarzen Knopf und schaltete ein Licht ein.
Sie standen in einer geräumigen Kaverne. Die Luft war angenehm durch den Geruch trockenen Gesteins. In dem gelben Schimmer der einzigen Glühbirne trat der Vater hinter seinem langgestreckten Schatten zu einem roh gezimmerten, kräftigen Holzschrank und zog eine tiefe Schublade heraus. Das Holz knarrte laut und kläglich zwischen den harten Wänden. In der Schublade befanden sich mehrere feine hölzerne Kästen, deren einer so groß wie ein Reisekoffer war. Rhamon nahm diesen zuerst heraus und trug ihn dahin, wo Rhita stand. Er kniete sich vor ihr hin und entriegelte den Deckel.
Darin befand sich, umgeben von einem Samtkissen, das für mindestens seine dreifache Größe gemacht war, ein Objekt, das kaum so breit war wie ihre beiden zusammengelegten Handflächen. Es ähnelte der Lenkstange eines der Bikykloi der Sophe, war aber viel dicker und hatte einen gekrümmten Sattel, der von der Verbindungsstelle fortgerichtet war.
»Das gehört jetzt dir, und du bist dafür verantwortlich«, sagte er und hob die Hände, als ob er es ablehnte, den Kasten noch einmal zu berühren. »Sie hat diese Sachen für dich aufbewahrt. Du warst die einzige Person, von der sie annahm, daß sie ihr Werk fortsetzen könnte, ihr Vorhaben. Keiner ihrer Söhne kam dafür in Frage. Sie dachte, wir taugten zur Administration, aber nicht für Abenteuer. Ich habe nie mit ihr darüber gestritten… Diese Dinge sind mir peinlich.« Er richtete sich auf und ging zurück. Sein Schatten rückte von dem Kasten und seinem Inhalt ab. Das skulpturartige Ding darin schimmerte perlweiß.
»Was ist das?« fragte sie.
»Es ist eines der Objekte. Sie hat es ein ›Schlüsselbein‹ genannt.«
Die Sophe hatte bei ihrer wundersamen Reise zu dieser Welt drei Objekte mitgebracht. Deren Kräfte waren Rhita nie erläutert worden. Patrikia hatte ihr einfach gesagt, was einige davon taten, aber nicht wie. Ihr Vater brachte die anderen Kästen herbei, legte sie auf den trockenen Boden der Höhle und öffnete sie. »Das war ihr Teuchos«, sagte er und wies auf ein kleines Polster aus Metall und Glas, das ein wenig größer war als ihre Hand. Er berührte ehrfurchtsvoll vier kleine blanke Würfel, die dicht bei dem Polster beisammen lagen. »Diese hier waren ihre persönliche Bibliothek. In diesen Würfeln befinden sich Hunderte von
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