Ewigkeit
Büchern. Einige davon sind ein Teil der geheiligten Lehre des Hypateions geworden. Manche haben mit der Erde zu tun. Sie sind größtenteils in Sprachen abgefaßt, die es hier nicht gibt. Ich nehme an, daß sie dir einige davon beigebracht hat.« Sein Ton war nicht vorwurfsvoll, sondern bloß resigniert, vielleicht sogar erleichtert. Lieber seine Tochter als er. Er öffnete den dritten Kasten. »Dies hat sie am Leben erhalten, als sie hierher kam. Es hat ihr Luft zum Atmen gegeben. Alle diese Dinge gehören dir.«
Sie beugte sich über den größten Kasten und griff nach dem sattelförmigen Objekt. Noch ehe ihre Finger dessen Oberfläche berührten, begriff sie, daß dies der Schlüssel war, welcher Tore im Weg öffnete. Es war warm und angenehm, nicht unvertraut. Sie kannte es, und es kannte sie.
Rhita schloß die Augen und sah Gaia, die ganze Welt, wie auf einem unglaublich detaillierten Globus dargestellt. Die Kugel drehte sich vor ihr und dehnte sich aus. Sie zog sie hinab zu den Steppen der Nordischen Rus, der Mongoleia und Chin Ch’ing – Ländern jenseits der Macht der Oikoumene von Alexandreia. Dort glühte in einer flachen Niederung über einem trägen, schlammigen Strom ein leuchtend rotes dreidimensionales Kreuz.
Sie schloß erschrocken und blaß die Augen und starrte auf das Schlüsselbein. Das war jetzt dreimal so groß und füllte das modellierte Samtkissen.
»Was ist los?« fragte ihr Vater.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich will diese Dinge nicht haben.« Sie lief zum Höhleneingang und in den Sonnenschein. Ihr Vater kam nach, etwas gebückt und fast kriechend. Er rief laut: »Die gehören dir, meine Tochter. Niemand sonst kann sie benutzen.«
Sie lief ihm davon und versteckte sich in einer Spalte zwischen zwei verwitterten Felsblöcken. Sie wischte sich Tränen aus den Augen und haßte plötzlich ihre Großmutter. »Wie konntest du mir dies antun?« fragte sie. »Du warst verrückt.« Sie zog die Knie ans Kinn hoch und stemmte ihre in Sandalen steckenden Füße gegen den rauhen trockenen Fels. »Verrücktes altes Weib.«
Sie erinnerte sich an den Schatten im Dunkel, als sie noch ein Mädchen war und gegen den Stein getreten war, bis ihre Ferse wund war. Die Monate, die Rhita mit Patrikia allein verbracht hatte, ihren Geschichten lauschend und an jene Fabelwelt denkend… Sie hatte sich nie vorgestellt, daß diese tatsächlich existierte, so real wie Rhodos oder das Meer. Patrikias Welt war immer so fern gewesen wie Träume und ebenso unwahrscheinlich.
Aber die Großmutter hatte niemals gelogen, nie auch nur die Wahrheit verzerrt bei allem, worüber sie sonst gesprochen hatten. Sie war immer vollkommen aufrichtig gewesen und hatte sie wie eine Erwachsene behandelt, sorgfältige Erklärungen gegeben und ihre Fragen nicht mit jener Heuchelei beantwortet, hinter der sich Erwachsene oft verstecken.
Warum sollte sie über den Weg gelogen haben?
Als die Abenddämmerung die Konturen der Zweige über ihr, die durch den Spalt sichtbar waren, verschwimmen ließ, kam Rhita heraus und ging langsam den Abhang hinab zur Höhle. Dort wartete ihr Vater. Er saß neben der Tür zum Gewölbe und hielt einen langen grünen Stock mit beiden Händen quer über den Knien. Sie dachte nicht entfernt daran, daß er sie schlagen könnte. Rhamon hatte sie nie physisch gezüchtigt. Der Stock war nur etwas, um sich zu beschäftigen und nachzudenken.
Sanfter, besorgter Vater, dachte sie. Das Leben war für ihn nicht einfach. Die Politik der Nachfolge an der Akademeia wurde häßlich. Er hatte so schon genug Kummer.
Rhamon stand auf, warf den Stock fort und wischte sich die Hände an der Hose ab, den Blick starr zum Boden gewandt. Sie ging zu ihm und nahm ihn kräftig in den Arm. Dann kehrten sie zu der Höhle zurück, sammelten die Objekte in ihren Behältern ein und trugen sie voll beladen hinab zu dem weißgetünchten Haus, wo Rhita geboren worden war.
4. KAPITEL
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Terrestrisches Hexamon,
Achse Euklid
Die Reise in das Stadtgedächtnis der Achse Euklid war kurz. Olmy wählte eine unauffällige Verbindung und senkte eine vollständige Kopie von sich in den Matrixpuffer, um Zugang in die zentrale Krippe zu bekommen. Sein Körper schien zu schlafen. Tatsächlich verarbeitete ein Partial in seinen drei Implantaten Daten über gespeicherte Interviews mit Talsit-Botschaftern und suchte nach Besonderheiten im Verhalten, die ihm Hinweise auf echte Talsit-Psychologie geben könnten. Er wußte, daß er keine Zeit
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