Ex en Provence
und den Sommersprossen auf der ziemlich groß geratenen Nase erinnert er mich ein bisschen an diesen bezaubernden Kochlehrling Linguini in »Ratatouille«, den Film über den Pariser Ratten-Meisterkoch und mein Frankreich-Werbegeschenk für Jule.
Hm, irgendwie ganz sympathisch und gar nicht mal unattraktiv. Und vor allem: Sein Sohn könnte vielleicht die Rettung für Jule sein, wenn er genauso cool aussieht und einigermaßen gut Fußball spielt. Aber ich kann kein passendes Kind in seiner Nähe entdecken.
»Will nich in die Schule. Will nach Hause.« Jules eine Hand zupft an meinem Ärmel, die andere krampft sich um den Hals von Napoleon. Wäre er kein Stofftier, bekäme er jetzt akute Atemnot.
Vater Linguini holt jetzt eine Zeitung hervor und macht es sich auf dem Betonboden bequem. Die Edel-Franzosen um ihn herum weisen ihre in Röckchen und Lackschuhen steckenden Töchter genauso zurecht wie ihre in Festtagshemden gepressten Söhne. »Vorsicht, mach dein Kleid nicht kaputt, beschmutz nicht deine Hose, pass auf deine neuen Schuhe auf …« Nach Abenteuer à la Bibi Blocksberg oder Pippi Langstrumpf klingt das nicht gerade.
»Die sehen alle so doof aus«, wirft Jule ein.
Stimmt.
»Aber nein, Julchen. Eigentlich nicht. Das liegt doch nur an den schicken Sachen, die sie für den ersten Schultag angezogen haben.« Ich beuge mich zu Jule herunter und streiche ihr über das schwarze »Wilde-Kerle«-T-Shirt, das sie heute unbedingt anziehen wollte.
Natürlich habe ich geahnt, dass es wohl kaum der bei fünfjährigen Französinnen gängigen Mode entsprechen dürfte. Genauso wenig wie Jules geliebte Crocs. Aber heute Morgen hatte ich mich doch nicht getraut, Jule zu dem neuen rosa Kleid zu überreden. Dabei hatte ich es eigentlich extra für die Einschulung gekauft, sozusagen als Integrationshilfe. Es ist auch sehr schlicht und wirklich nur ganz dezent rosa.
Aber trotzdem zu rosa für Jule. Bei den »Matschzwergen« war Jules merkwürdige Rosa-Phobie nicht besonders aufgefallen, weil im Berliner Waldkindergarten die meisten Eltern bei der Garderobenauswahl für ihre Kinder ohnehin einen großen Bogen um Bonbontöne machen und sich eher für satte Grundfarben oder das leicht anarchistisch bis avantgardistisch angehauchte Schwarz entscheiden.
Aber hier, vor den Toren der französischen Vorschule, fällt »Wilde-Kerle-Jule« mit ihrem wuscheligen Kurzhaarschnitt und den roten Plastik-Clogs an den Füßen ein bisschen aus dem allgemein aufgerüschten Rahmen.
»Mamaaa«, quengelt Jule. »Will nach Hause!«
Die Lage scheint aussichtslos. Und außerdem beschleicht mich der Verdacht, dass ich irgendetwas falsch verstanden haben könnte. Jule sollte, so war mir bei der Anmeldung bei der Vorschule noch einmal bestätigt worden, als Fünfjährige regulär die letzte Klasse der »Maternelle«, nämlich die »grande section«, besuchen.
Eigentlich nichts Besonderes also, nicht einmal die ganz große Einschulung in die erste Klasse. Kindergarten eben – so dachte ich zumindest noch bis vor fünf Minuten.
Meine Recherchen hatten zwar schon ergeben, dass in Frankreich die »rentrée« – also der alljährliche Schulanfang im Spätsommer nach satten zwei Monaten Ferien – berühmt-berüchtigt ist und das französische Neujahr markiert: Die Zeitrechnung läuft hier nämlich von September bis Juni, und die Monate Juli und August fallen – wie ich dank meiner verzweifelten Anrufe bei Behörden, Versicherungen etc. feststellen durfte – weitgehend aus: wegen Ferien, Nationalfeiertag, Überstunden abbummeln und so weiter.
Vor dem noch fest verschlossenen Tor der Vorschule haben sich nun ganz offensichtlich nicht nur die Eltern selbst in Stellung gebracht, sondern sie haben auch ganze Kompanien von Großmüttern, Großvätern, Tanten und Onkeln als Verstärkung verpflichtet.
Ganz schlecht kann es in der Schule allerdings nicht sein, denn als die zwar streng, aber doch einigermaßen freundlich blickende Schuldirektorin das Tor öffnet, strömen Kinder und Verwandtschaft plötzlich hinein, als gehe es um die letzte Sonnenliege am Swimmingpool. Nur ich muss Jule ein bisschen hinter mir herziehen und hoffe inständig, dass ihr Widerstand nicht noch größere Ausmaße annehmen wird.
Aber im Sog der anderen lässt sie sich über den voll asphaltierten Hof in die Schule lotsen.
Doch kaum haben wir den Eingangsbereich hinter uns gelassen, stoppt der Tross unvermittelt. Vor den Klassenzimmern werden Schülerlisten studiert.
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