Ex en Provence
Tochter von der Schule abholen. Ihre Kundin.
Aber leider, leider hatte ich für diese Kurznachricht auch keine Zeit. Und dann könnte es eventuell möglich sein, dass ich auf der Autobahn ein ganz kleines bisschen zu schnell gefahren bin. Und irgendwie war da auch so ein verdächtiges Licht, das neben der Leitplanke kurz aufblitzte.
Aber egal, jetzt bin ich ja an der Schule angekommen, und um Punkt halb zwölf werde ich meine Tochter in die Arme schließen. Wenn das kein perfektes Timing ist?! Bettina wäre stolz auf mich. Ich muss nur noch schnell das Auto abstellen, dann …
Alles wird gut.
… dann. Tja, die Autos »parken« hier schon in dritter Reihe, einige mit laufendem Motor, aber ohne Fahrer.
Ich bin gaaanz ruhig, völlig Zen.
Ah! Da ist ein Platz. Okay, vielleicht ein bisschen eng, so halb auf dem Bürgersteig, halb in der Hecke eines angrenzenden Grundstücks, und das Ganze zwischen einer völlig verdreckten, aber wohl ursprünglich grünen Ente und einem silbermetallic glänzenden Renault Espace.
Das Schultor steht schon weit offen, von Eltern aber keine Spur. Nehmen etwa die Mütter, die besser sind als ich, im Inneren der Schule längst ihre Lieblinge in Empfang – und Jule wartet dort vergeblich auf mich?
Ruhig, Anja. Ganz ruhig.
Tatsächlich! Jetzt kommen schon die ersten Eltern mit ihren Kindern aus der Schule – und ich rangiere immer noch in diese eigentlich gar nicht existierende Parklücke: Rückwärtsgang, ein paar Zentimeter mit heulendem Motor den Bordstein hinauf, Vorwärtsgang, wieder herunter und dann mit der Kühlerhaube direkt in den Kirschlorbeer. Mir steht der Schweiß auf der Stirn.
Ommm.
Ich fahre wieder auf die Straße, um nach einem anderen Abstellplatz zu suchen. Doch jetzt strömen plötzlich ganze Horden von Familien über die Straße. Kein Ausweg. Hier komme ich nirgendwo mehr hin.
Aaaah!
Ich stoppe den Motor. Mein Auto steht jetzt vor Bürgersteig, Hecke, Ente und Espace. Egal, schließlich sind wir hier in Frankreich, und da macht man das nun einmal so! Ist ja schon einmal gut gegangen. Also, ein weiterer Integrationsschritt gelungen.
Ich steige aus und will in die Schule stürzen, gegen den Strom abholender Eltern.
Doch plötzlich schert ein Mann aus der Menschenmenge aus und stellt sich mir in den Weg. Es ist Linguini, der coole Vater in seinem Lässig-Look von heute Morgen. »Sie müssen da weg, Sie versperren meinem Auto den Weg«, sagt er weniger lässig und zeigt auf die nur mühsam zusammengeflickte Ente, die hinter meinem Kombi steht.
Auto? Eher Spitzenkandidat für die Abwrackprämie, würde ich sagen.
»Aber ich will doch nur ganz schnell …«
»Es muss weg.« Linguini blickt mir direkt in die Augen. Sie sind dunkelbraun und warmherzig, und sie wollen so gar nicht zu seinem Auftritt vor meinem Auto passen.
Ach, da verbirgt sich bestimmt ein ganz softer Kern unter der extraharten Schale. Außerdem findet man in Frankreich doch immer einen Weg. Dafür sind sie doch berühmt, die Franzosen, für ihre Improvisationskunst, ihre Menschlichkeit, ihre …
»Geht’s vielleicht noch ein bisschen langsamer?«
… Ungeduld.
»Entschuldigen Sie, aber hier kann man doch wirklich nirgendwo parken. Es dauert bestimmt nicht lange. Ich bin wirklich sofort wieder da.«
Und überhaupt fand ich Sie doch bis gerade eben noch ganz sympathisch!
»Meine Tochter ist sicher schon ganz verzweifelt, das verstehen Sie doch, oder?«
Da habe ich mich wohl in Ihnen getäuscht! Schade.
Linguini versteht offenbar gar nichts, dabei liegt es diesmal wohl nicht an den üblichen Kommunikationsproblemen einer Ausländerin wie mir, sondern eher am Willen meines Gegenübers.
»Verstehen Sie?«, versuche ich es trotzdem noch einmal.
Aber statt mir zu antworten, nimmt er mir doch glatt meinen Schlüsselbund aus der Hand, steigt in meinen Kombi …
Also, das ist ja wohl nicht zu fassen!
… und manövriert ihn blitzschnell in eine just in diesem Moment frei gewordene, riesige Parklücke gegenüber. Wortlos, aber mit einem leichten Grinsen auf den Lippen wirft der Typ mir dann auch noch meinen Autoschlüssel zu, der klimpernd neben meinen Turnschuhen zu Boden fällt.
Also, das war’s jetzt aber endgültig.
»Angeber! Rüpel! Elender Macho!«, will ich rufen, kenne aber natürlich kein einziges dieser Wörter auf Französisch. Stattdessen bleibe ich mit weit geöffnetem Mund stehen und sehe, wie der Angeber-Rüpel-Macho in seine Ente einsteigt. Aus dem offenen Fahrerfenster
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