Ex en Provence
freuen, genauso wie über das Wiedersehen mit Tante Betty und Oma Moni.
Tante und Oma machen diesen Anreden im klassischen Sinn allerdings keinerlei Ehre: beide durchtrainiert, superschlank und gut gebräunt – meine Mutter vom Anden-Trekking, meine Schwester vom ständigen Marathon-Training, den Frankfurter Hightech-Solarien und vielleicht auch ein kleines bisschen Côte-d’Azur-Spätherbstsonne. Bettina trägt ihre Haare kurz à la Audrey Tautou, meine Mutter ganz ähnlich. Aus der Entfernung sind ihre Falten auch nicht so gut zu erkennen, so dass sie fast Schwestern sein könnten.
Gehöre ich wirklich dazu? Trotz Tautou-Haarschnitts kann ich zwar bei keiner von beiden echten französischen Chic entdecken, aber sie sehen wirklich ziemlich gut aus.
Unwillkürlich ziehe ich den Reißverschluss meiner Thermo-Jacke ganz nach oben, zupfe meinen Pferdeschwanz zurecht und lasse meinen Blick über diese schrecklich breiten Schenkel in meinen alten, mit reichlich Bauernhof-Erinnerungen in Form von Flecken sämtlicher Couleur verzierten Jeans hinunter zu meinen Bergschuhen gleiten. Nein, die Gummistiefel wären jetzt auch keine Rettung.
Zögernd steige ich aus dem Bus und sehe, wie Philippe die Begrüßungsszene meiner Familie aus einer gewissen Distanz beobachtet. Mit einem offenen Mantel über seinem schwarzen Rollkragenpullover sieht er sehr elegant aus. Ganz der Edel-Franzose. Aber gleichzeitig erscheint er mir fremd, irgendwie unwirklich.
Auch er scheint bei meinem Anblick erst ein bisschen zu stutzen, bevor er sagt: »Mon amour, wie schönn, disch widderzusehen.« Dann umarmt und küsst er mich.
Mmmmh …
Mmh …
Hm?
Hey, stopp!
Dieser Kuss dauert für meinen Geschmack und vor diesem Großpublikum entschieden zu lange. Endlich kann ich mich aus seiner Umarmung lösen.
Irgendetwas stimmt hier nicht.
»Janis! Mein Herz!« Meine Mutter nutzt die Gelegenheit und schließt mich in ihre Arme.
»Mama, das ist Philippe. Philippe, das ist …«
»Ach, Janis-Schätzchen, wir haben uns doch schon längst kennengelernt.« Mit dem Lächeln, das meine Mutter jetzt Philippe schenkt, könnte sie durchaus im Konkurrenzkampf der verheißungsvollen Französinnen bestehen. Wahrscheinlich nicht nur in ihrer Altersklasse. »Nicht wahr, Philippe?«, schiebt sie kokett hinterher.
»Aber natürlisch, Monique«, sagt Philippe galant und irgendwie ein bisschen … hm … genau: routiniert. Und schon hat er meine Mutter in ein Gespräch verwickelt. Sie hängt förmlich an seinen Lippen, die ein unglaublich falsches Deutsch produzieren. Entzückend, denkt meine Mutter jetzt sicher.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Eric, der von Noémi abgeholt wird. Die Perfektion in Person hat ihre Hand um seinen Nacken gelegt und haucht ihm einen Kuss auf die Wange.
Jetzt wendet sich Bettina zu mir: »Kleines! Hey, lass dich umarmen! Aber, wie guckst du denn? Drücken die Wanderschuhe?«
»Nein. Alles bestens. Schön, dass du da bist. Philippe hast du vermutlich auch schon kennengelernt?!«
»Ja, ja.«
Und? Spielt er in derselben Klasse wie einst dein Oliver?
»Sag, Kleines, wie war es auf dem Bauernhof?«
Nichts und.
»Hast du gut gemolken und ausgemistet? Ich sage dir, Cannes ist ja wirklich ein Traum. Ein Cocktail in einer Bar an der Croisette, und man ist nicht lang allein. Sehr mondän, très chic! Na ja, aber dein Dorf ist ja auch ganz schnuckelig. Vielleicht ein bisschen klein und irgendwie auch ziemlich abgelegen, aber so zum Ausspannen doch wie gemacht.«
»Hm.«
»So, Leute«, meldet sich meine Mutter zu Wort. »Wir sollten gehen! Ich habe nämlich eine Kleinigkeit vorbereitet, zuhause.«
Zuhause?
»Wie wäre es, wenn wir jetzt schnell das Gepäck in den Kofferraum werfen und abzischen? Betty, ich nehme deinen Mietwagen. Gib mir mal die Schlüssel, okay? Komm, Janis, wir fahren ein bisschen ›Mercedes-Benz‹. Hey! Ich habe dir ja so viel zu erzählen!«
Während ich mit Jule unsere Bauernhof-Rucksäcke im samtenen Kofferraum des von Bettina gemieteten Coupés verstaue, hüpft meine Schwester in Philippes inzwischen geschlossenes Cabrio. Im Rückspiegel sehe ich, wie Erics Ente scheppernd in Richtung abbruchreife Plattenbauten verschwindet.
»Janis-Liebling«, sagt meine Mutter, während sie den teuren Benz durch die engen Straßen von L’Oublie-en-Provence steuert. »Dieser Philippe ist ja voll krass!«
»Mama! Wie redest du denn?«
»Das sagt man jetzt so. Wahrscheinlich hast du das in Frankreich noch nicht mitbekommen,
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