Exodus
können Sie in den Synagogen Männer sehen, die auf die verschiedenste Art und Weise beten. Von den Yemeniten beten einige mit einer schwingenden Bewegung des Oberkörpers, als ob sie auf einem Kamel ritten. Auf diese Weise rächen sich die Juden dafür, daß es ihnen früher verboten war, auf Kamelen zu reiten, weil es nicht anging, daß der Kopf eines Juden den eines Muselmanns überragte.«
»Das ist mir neu.«
»Oder die Nachkommen der spanischen Juden. In der Zeit der Inquisition waren die spanischen Juden, wenn sie nicht den Tod erleiden wollten, gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen. Sie sagten die lateinischen Gebete mit lauter Stimme, doch am Ende eines jeden Satzes beteten sie unhörbar Worte eines hebräischen Gebetes. Deshalb beten sie noch heute am Ende eines jeden Satzes einige Worte schweigend.«
Kitty war sprachlos, als sie in die Straße der hundert Tore einbogen. An beiden Seiten zogen sich zweistöckige Häuser entlang, die alle reich verzierte schmiedeeiserne Gitter vor ihren Balkonen hatten.
Die Männer trugen Bärte und lange Locken, pelzverbrämte Hüte und lange Kaftane aus schwarzem Satin. Man sah Yemeniten in arabischer Kleidung, Kurden, Leute aus Buchara und Perser in bunten Seidengewändern. Alle kamen aus dem rituellen Bad und gingen mit raschen, schwingenden Schritten.
Die Straße leerte sich bald, und alle begaben sich in die Synagogen. Die Synagogen waren meist klein und lagen dicht nebeneinander. Kitty warf durch die vergitterten Fenster einen Blick ins Innere.
Was für seltsame Räume — und was für eigenartige Leute. Kitty sah Männer, die sich klagend und seufzend um das Sefer Thora drängten. Sie sah die milden, verklärten Gesichter der Yemeniten, die mit untergeschlagenen Beinen auf Kissen hockten und mit leiser Stimme beteten. Sie sah alte Männer, die mit dem Oberkörper hin und her schwangen, während sie aus alten, vergilbten Büchern pausenlos und monoton hebräische Gebete zitierten. Wie anders war das alles als in Tel Aviv, und wie weit waren die Menschen hier von den gutaussehenden männlichen und weiblichen Bewohnern dieser neuen jüdischen Stadt entfernt.
»Es gibt bei uns alle möglichen Arten von Juden«, sagte David ben Ami. »Ich wollte Ihnen das hier zeigen, weil ich wußte, daß es Ari nicht tun würde. Er und viele von denen, die im Lande geboren sind, verachten diese alten strenggläubigen Juden. Sie bearbeiten den Boden nicht und lehnen es ab, Waffen zu tragen. Sie sind reaktionär und verhalten sich ablehnend gegen das, was wir aufzubauen versuchen. Und doch, wenn man wie ich längere Zeit hier in Jerusalem gelebt hat, dann lernt man, auch ihnen gegenüber tolerant zu sein, und man begreift, wie schrecklich die Zustände gewesen sein müssen, die Menschen in einen derartigen religiösen Fanatismus treiben konnten.«
Ari ben Kanaan stand im Russischen Viertel in der Nähe der Griechischen Kirche und wartete. Es wurde dunkel. Plötzlich tauchte Bar Israel auf. Ari folgte ihm in eine Nebenstraße, wo ein Taxi hielt. Sie stiegen ein, und Bar Israel brachte ein großes schwarzes Taschentuch zum Vorschein.
»Muß ich das über mich ergehen lassen?«
»Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Ari, aber Befehl ist Befehl.«
Ari wurden die Augen verbunden. Dann mußte er sich auf den Boden des Wagens legen. Er wurde mit einer Decke zugedeckt. Länger als eine Viertelstunde fuhr das Taxi kreuz und quer, um Ari zu verwirren. Schließlich hielt es an. Ari wurde rasch in ein Haus und in einen Raum geführt; dann durfte er die Binde vor den Augen wieder abnehmen.
Der Raum war leer bis auf einen Tisch und einen Stuhl. Auf dem Tisch stand eine brennende Kerze, außerdem eine Flasche Brandy und zwei Gläser. Es dauerte eine Weile, bis sich Aris Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Vor ihm an der anderen Seite des Tisches stand sein Onkel Akiba. Sein Bart und sein Haar waren schneeweiß geworden. Er stand gebeugt, und sein Gesicht war voller Falten. Ari ging langsam zu ihm hin und blieb vor ihm stehen. »Onkel Akiba«, sagte er.
»Ari, mein Junge.«
Die beiden umarmten sich, und nur mit Gewalt erwehrte sich der alte Mann seiner Rührung. Akiba nahm die Kerze hoch, hielt sie nahe an Aris Gesicht und lächelte. »Gut siehst du aus, Ari. Du hast deine Sache in Zypern großartig gemacht.«
»Danke, Onkel Akiba.«
»Wie ich höre, bist du mit einem Mädchen hergekommen.«
»Ja, mit einer Amerikanerin, die uns geholfen hat. Sie ist eigentlich kein Freund unserer
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