Exodus
Augenblick erreichte der Wagen die Straße und schoß davon.
»Alles in Ordnung dahinten?«
»Wir sind beide getroffen.«
Ari richtete sich auf und untersuchte sein rechtes Bein. Die Innenseite des Oberschenkels war ohne Gefühl. Das Geschoß war tief ins Fleisch gedrungen. Die Wunde blutete nur wenig, er verspürte auch keinen starken Schmerz; nur ein Brennen.
Er kniete sich auf den Boden, drehte Akiba herum und riß dessen blutgetränktes Hemd auseinander. Akibas Bauch war eine klaffende Wunde.
»Wie steht es mit ihm?« fragte der Makkabäer, der vorn neben dem Fahrer saß.
»Schlecht — sehr schlecht.«
Akiba war bei Bewußtsein. Er zog Ari dicht zu sich herunter.
»Ari«, sagte er, »werde ich durchkommen?«
»Nein, Onkel.«
»Dann bring mich irgendwohin, wo sie mich nicht finden — verstehst du?«
»Ja«, sagte Ari, »ich verstehe.«
Der Wagen erreichte Kfar Masaryk, wo ein Dutzend Siedler bereitstanden, um den englischen Dienstwagen zu verstecken und einen Lastwagen für die Fortsetzung der Flucht zur Verfügung zu stellen. Akiba hatte großen Blutverlust erlitten und war bewußtlos, als man ihn aus dem Wagen holte. Ari nahm sich einen Augenblick Zeit, um Sulfonamid in seine Wunde zu schütten und sich einen Druckverband zu machen. Die beiden Makkabäer, die mit ihm gefahren waren, nahmen ihn auf die Seite.
»Der alte Mann geht uns drauf, wenn wir mit ihm noch weiter fahren. Er muß hierbleiben und sofort in ärztliche Behandlung kommen.«
»Nein«, sagte Ari.
»Sind Sie wahnsinnig?«
»Hört jetzt mal gut zu, ihr beiden. Er hat keinerlei Chance, mit dem Leben davonzukommen. Und selbst wenn er durchkäme, würden ihn die Engländer hier finden. Wenn wir ihn hierlassen und er stirbt, dann wird das in ganz Palästina bekannt. Niemand außer uns darf wissen, daß es Akiba nicht gelungen ist, zu fliehen. Die Engländer dürfen nie erfahren, daß er tot ist.«
Die beiden Makkabäer nickten zustimmend. Sie sprangen auf den Vordersitz des Lastwagens, Ari legte seinen Onkel hinten hinein und setzte sich neben ihn. Aris Bein fing an zu schmerzen. Der Lastwagen fuhr in südlicher Richtung davon, an Haifa vorbei, und nahm dann die Kurven der schmalen Straße, die zum Karmelberg hinaufführt. Ari hielt seinen bewußtlosen Onkel auf seinem Schoß, während der Wagen holpernd über die schlechte Straße fuhr und schwankend die gefährlichen Biegungen nahm. Sie fuhren höher und höher den Karmelberg hinauf, bis in das einsame Gebiet, in dem nur noch die Drusen wohnten.
Akiba öffnete die Augen. Er versuchte, etwas zu sagen, doch er war dazu nicht mehr imstande. Er erkannte Ari. Auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln, dann sackte sein Körper in Aris Armen zusammen.
Eine Meile vor dem Drusendorf Daliyat el Karmil fuhr der Lastwagen in ein kleines Wäldchen und hielt an. Hier wartete bereits Mussa, ein Druse und Mitglied der Hagana, mit einem Eselskarren. Ari stieg mühsam von dem Wagen herunter. Er rieb sein verwundetes Bein. Seine Jacke und seine Hosen waren von Akibas Blut getränkt. Mussa stürzte erschreckt auf ihn zu.
»Mir fehlt nichts«, sagte Ari. »Hol Akiba vom Wagen. Er ist tot.« Mussa nahm den toten Akiba und legte den Leichnam des alten Mannes auf seinen Eselskarren.
»Ihr beide seid Makkabäer«, sagte Ari. »Niemand darf erfahren, daß Akiba tot ist, außer Ben Mosche oder Nachum. Und jetzt fahrt ihr mit dem Wagen wieder zurück und säubert ihn. Mussa und ich werden meinen Onkel begraben.«
Der Lastwagen fuhr eilig davon.
Ari stieg auf den Eselskarren. Er fuhr an dem Dorf vorbei und zum höchsten Punkt des Karmelberges. Es begann bereits zu dämmern, als sie einen kleinen Wald erreichten, der ein Denkmal des größten aller hebräischen Propheten enthielt, des Propheten Elias, Nicht weit von dem Denkmal des Elias hoben Mussa und Ari eine flache Grube aus. »Wir wollen ihm das rote Zeug ausziehen«, sagte Ari.
Dem Toten wurde das Kostüm ausgezogen, mit dem die Engländer den zum Tod Verurteilten bekleidet hatten. Dann wurde Akiba ins Grab gelegt und mit Erde zugeschaufelt; die Stelle bedeckten sie mit Zweigen. Mussa begab sich zu seinem Eselskarren und wartete auf Ari. Ari kniete lange am Grab seines Onkels. Das Leben Jakob Rabinskis war von seiner ersten bis zu seiner letzten Stunde Kummer und Sorge gewesen. Nun hatte er, nach so vielen Jahren der Qual, endlich Ruhe und Frieden. Eines Tages, dachte Ari, werden alle Leute wissen, wo Akiba den ewigen Schlaf schläft, und diese
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