Exodus
hatten, war Jordana unverändert ruhig und energisch geblieben. Für eine junge Frau von noch nicht zwanzig war das eine schwere Bürde. Doch Jordana vermittelte den Menschen in ihrer Umgebung ein Gefühl der Sicherheit.
»Ja, es wird wirklich eine sehr lange Nacht werden«, sagte Kitty. »Dann könnten wir uns doch gegenseitig Gesellschaft leisten«, sagte Jordana. »Ich muß Ihnen etwas verraten. Ich habe im Bunker eine halbe Flasche Cognak versteckt. Heute nacht ist die richtige Gelegenheit, sie auszutrinken. Hätten Sie Lust, in meinem Bunker auf mich zu warten? Ich muß nur noch die Wachen hereinholen. In einer halben Stunde bin ich zurück.«
Kitty stand unbeweglich. Jordana nahm ihren Arm. »Kommen Sie«, sagte sie freundlich drängend, »im Augenblick können wir sowieso nichts machen.«
Kitty hatte nervös im Kommandobunker gesessen und eine Zigarette nach der anderen geraucht, bis Jordana endlich von ihrem Rundgang zurückgekommen war. Jordana nahm die braune Hagana-Mütze ab, und die langen roten Locken fielen ihr auf die Schultern. Sie rieb sich die vor Kälte erstarrten Hände und holte dann die Cognakflasche hervor, die sie an einer Stelle der Bunkerwand verborgen hatte, wo das Erdreich locker war. Sie wischte den Sand von der Flasche und schenkte Kitty und sich einen kräftigen Schluck ein.
»Le Chajim!« sagte Jordana und setzte das Glas an die Lippen.
»Ah, das tut gut.«
»Wie lange wird es dauern, bis sie an Abu Yesha vorbeikommen?« »Das wird erst nach Mitternacht sein«, antwortete Jordana.
»Ich habe mir immer wieder gesagt, daß alles gutgehen wird; doch nun fange ich an, an die tausend Dinge zu denken, die schiefgehen könnten.«
»Es ist unmöglich, nicht daran zu denken«, sagte Jordana. »Doch das steht jetzt in Gottes Hand.«
»In Gottes Hand?« sagte Kitty. »Ja, Gott vollbringt in diesem Lande wirklich besondere Dinge.«
»Wer hier in Palästina nicht religiös wird, der wird es vermutlich nirgendwo«, sagte Jordana. »Ich kann mich nicht erinnern, daß wir uns jemals durch irgend etwas anderes als durch unseren Glauben am
Leben erhalten hätten. Er ist unsere einzige Stütze.«
Diese Worte klangen seltsam aus dem Mund von Jordana bat Kanaan. Äußerlich schien Jordana nicht tief gläubig; doch was hätte ihr sonst die Kraft und Standhaftigkeit geben sollen, unter dieser beständigen Spannung und Bedrohung zu leben, wenn nicht ihr unerschütterlicher Glaube?
»Kitty«, sagte Jordana plötzlich, »ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Ich habe mir sehr gewünscht, daß wir beide Freunde werden.«
»So?« sagte Kitty. »Und warum, Jordana?«
»Weil ich etwas von Ihnen gelernt habe — etwas, worüber ich eine ganz falsche Ansicht hatte. Ich habe gesehen, wie Sie hier mit den Kindern gearbeitet haben, und ich weiß, was Sie für Ari getan haben. Als Sie sich dazu entschlossen, in Gan Dafna zu bleiben, da ist mir etwas klargeworden. Ich begriff plötzlich, daß eine Frau wie Sie genausoviel Mut haben kann, wie — wie wir hier. Ich hatte immer geglaubt, Weiblichkeit sei ein Zeichen von Schwäche.«
»Das ist lieb von Ihnen, Jordana«, sagte Kitty mit schwachem Lächeln. »Doch ich fürchte, gerade heute nacht könnte ich recht gut ein bißchen was von eurer Art von Mut gebrauchen. Ich habe das Gefühl, daß ich drauf und dran bin, die Nerven zu verlieren.«
Kitty brannte sich eine Zigarette an, und Jordana schenkte ihr noch einen Cognak ein.
»Ich habe es mir überlegt«, sagte Jordana. »Sie wären doch die richtige Frau für Ari.«
Kitty schüttelte den Kopf. »Nein, Jordana«, sagte sie. »Wir sind, wie man bei uns sagt, zwei nette Leute, die aber nicht füreinander geschaffen sind.«
»Das ist wirklich schade, Kitty.«
Kitty sah auf ihre Uhr. Sie wußte aus den Besprechungen, daß sich die Männer jetzt dem ersten fast senkrecht abfallenden Steilhang nähern mußten. Man würde die Männer, die die Kinder auf dem Rücken trugen, anseilen und einen nach dem andern den Steilhang hinunterlassen. Es ging fast zehn Meter senkrecht nach unten. Vom Ende des Steilhangs würden sie den Hang im lockeren Erdreich rund hundert Meter weit hinunterrutschen müssen.
»Erzählen Sie mir ein bißchen was von sich und David«, sagte Kitty hastig. »Wo habt ihr euch kennengelernt?«
»An der hebräischen Universität. Ich lernte ihn am zweiten Tag kennen. Ich sah ihn, und er sah mich, und wir liebten uns vom ersten
Augenblick an und haben nie aufgehört, uns zu lieben.«
»So war
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