Exodus
der.«
»Ja,
vor fünf Jahren sind wir mal nach Kirow gefahren, er hat den
ganzen Weg von seiner Arbeit erzählt, von all den Fabriken. Wie
sie in der Halle besoffen Karten gespielt und den Verlierer an den
Kranhaken gehängt haben, wie sie ihn über dem
Siemens-Martin-Ofen baumeln ließen. Der jault und wird
geröstet, alle lachen ... Wie sie Wetthüpfen über die
Säurewannen gemacht haben. Und die Geschichte mit der Schürze,
kennst du die?«
»Nein.«
»Da
hat er in einem Betrieb gearbeitet, in einer Tischlerei, und wenn sie
auf der Arbeit soffen, machten sie Folgendes: Sie hatten
Leinenschürzen, die ziehst du an und nagelst sie wie bekloppt an
diese verfickte Maschine, und dann kannst du nicht mehr umfallen! Der
Vorarbeiter kommt zum Kontrollgang – die ganze Mannschaft
festgenagelt ...«
»Ja,
genau. So hat er gearbeitet, seit er vierzehn war ...«
»Tja,
ich denke oft, dass ... und er hat das selbst gesagt ... dass er im
Leben ganz schön weit gekommen ist. Dass ihm vom Schicksal ein
ewiges Dahinvegetieren bestimmt war, voll Armut und Scheiße,
aber er hat doch ein ganz lustiges Leben gehabt, hat ordentlich was
geschafft. Er hat erzählt, wie er mal einen Klassenkameraden
getroffen hat, der in einem Büro arbeitet, billiges Jackett,
grinst nur und erzählt eine ganze Stunde, wie er sich einen
neuen Heimtrainer gekauft hat, wie toll der ist, lobt sich. Fedja ist
müde, verkatert, kommt außerdem gerade von der Arbeit, und
der fragt ihn: ›Was hast du denn erreicht?‹ Fedja ist
scheißegenervt und brutal direkt: ›Einen Heimtrainer hab
ich nicht, Geld auch nicht, aber gestern, da hab ich auf den
Rjasanski Prospekt einen Kerl mit einem Eimer verdroschen. Er wurde
mit dem Krankenwagen abtransportiert ...‹«
»Ich
versteh einfach nicht, warum wir nicht alle sitzen.«
»Naja,
wir sitzen eben nicht, wir hören gerade in Piter Wertinski,
Fedja ist unter der Erde, Kolja hinter Gittern ... jedem das seine,
wie man so sagt.«
»Stimmt.
Echt Wahnsinn, wie Kolja all die Jahre gefeiert hat ... wie wir
damals druff waren, an der Metro sind wir voll abgeflogen, sind auf
irgendwelche Schickimickis los, er mit ner Knarre, ich mit ner
Machete. Alte Scheiße, wie mexikanische Gangster, und dann
haben wir uns in die Metro zurückgezogen, Rücken an Rücken,
haben mit den Waffen rumgefuchtelt und die Bullen haben sich alle
verdrückt.«
»Die
haben euch alle längst gesucht und ihr habt trotzdem ordentlich
weitergemacht ... und dann noch diese Knarre, er hat die ganze Zeit
damit rumgeballert. Steigt nachts besoffen in die Metro, zieht die
Knarre und schreit: ›Es lebe Stalin!‹ Alle Fahrgäste
verpissen sich sofort aus dem Zug ...«
»Oder
wie wir besoffen in den Laden sind, Kolja krallt sich Wodka, Kognak,
aus allen Taschen ragen Flaschen. Wir gehen zur Kasse. Er zahlt einen
Kaugummi, da fällt ihm die Pistole aus der Jacke, direkt aufs
Verkaufsband. Er entschuldigt sich, nimmt den Kaugummi und geht. Die
Wachleute sind einfach zur Seite getreten ...«
»Na
ja, er hatte nicht immer so ein Schwein. Vorigen Sommer hat er einem
Wachmann einen Zigarettenständer übergezogen und ihm die
Birne eingeschlagen, danach haben sie Kolja die Birne zerkloppt ...
Ich hab ihn die ganze Nacht von Notaufnahme zu Notaufnahme gekarrt.«
»Das
war totaler Wahnsinn, als wäre ihm schon alles scheißegal
gewesen.«
»Na,
stimmt doch, er hatte ja auch nichts zu verlieren: die Familie
bettelarm, die Eltern Rentner. Was sollte er denn machen? Als Träger
wollte er nicht arbeiten ... und ich übrigens auch nicht, wie
viel ich auch geackert hab – alles umsonst. Gutes Geld verdien
ich nur, wenn ich lange Finger mache oder wenn was vom Himmel fällt.
Das ganze letzte Jahr zum Beispiel hab ich nicht gearbeitet, hab all
die Konzerte gemacht und hatte mehr Geld als je zuvor. Es war
interessant, brachte Ruhm, brachte Geld und arbeiten musste ich auch
nicht ... Was für Partys wir in dem Sommer hatten, echt geil
...«
»Ja,
ich hab auf den Partys auch ziemlich geil verkauft ...«
»Das
hat man gesehen, durchgedreht sind die alle, haben sich gegenseitig
mit Messern und Flaschenhälsen aufgeschlitzt, ihre eigenen
Kumpel mit Schlagringen verdroschen, nachts sind sie ins Lagerfeuer
gefallen und wurden geröstet. Morgens fing es an zu regnen, die
Leute sind nackt durch den Schlamm gerobbt, die Musiker haben echt im
Sumpf gespielt! Das ist mal Rock’n Roll! ... Oder im Winter, im
Kulturhaus, ich geb ein Konzert, da stürzt der Direktor auf
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