Expedition zur Sonne
geraten sollte.«
Der Junge blickte nachdenklich vor sich hin.
»Da haben Sie irgendwie recht«, sagte er langsam. »Aber mit all dem Wissen – warum nur hundertfünfzig Jahre? Warum können wir nicht bis in alle Ewigkeit leben?«
»Glaubst du, daß wir das sollten?« fragte Mancini mit ernstem Gesicht.
Der Junge grinste.
»Weichen Sie mir nicht aus. Wenn Sie es könnten, würden Sie es auch tun – einige Leute würden es auf jeden Fall wollen. Warum können Sie es nicht?«
Mancini zuckte mit den Schultern.
»Viele hundert Millionen Leute kennen sicher die Regeln des Schachspiels.« Er nickte zu Dandridge hinüber, der vor seiner Kontrolltafel saß. »Aber warum spielen nicht alle gut? Du weißt doch, warum die Ärzte zögerten, Hormone zur Therapie zu verwenden, als diese in unbeschränktem Maß zur Verfügung zu stehen begannen?«
»Ich glaube schon. Wenn man jemandem Cortison gibt, so kann das zwar die gewünschte Wirkung erzielen, aber es kann genauso gut andere Drüsen anregen oder ihre Arbeit hemmen, was den Haushalt anderer Hormone gefährden würde, und das wieder ... Nun, es wäre eben eine Kettenreaktion ohne absehbares Ende.«
»Ganz richtig. Und mit den Genen herumzuexperimentieren, das würde ähnliche Ergebnisse bringen, wenn nicht noch schlimmere. Wenn du durch einen Unfall die Beine verlörest, so könnte ich hier und jetzt dein Gensystem so manipulieren, daß dir neue Beine wachsen. Aber gleichzeitig besteht das Risiko, andere Dinge in deinem System zu gefährden. Genauer gesagt, ich müßte gewisse Einschränkungen in deinem Zellteilungskontrollmechanismus vornehmen, wenn die Beine lang genug sind, um ihr Wachstum zu stoppen – und dann passiert das gleiche, was durch natürlichen Zufall bei Krebskranken geschieht. Wahrscheinlich würde ich alle unangenehmen Nebeneffekte ausschalten können, da du erst neunzehn Jahre alt bist und noch prächtig stabil, wie wir es nennen. Wenn du älter wirst und immer mehr Faktoren diese Stabilität beeinträchtigen, wird es schon schwieriger. Und die Störfaktoren vermehren sich von Jahr zu Jahr.
Du wurdest mit einer ausreichend starken Stabilitätsreserve geboren, um ein paar Dekaden ohne biochemische Eingriffe leben zu können, sogar bis neunzig. Aber wenn wir unser Wissen einsetzen, können wir das Spiel noch länger spielen. Aber früher oder später müssen wir das Handtuch werfen. Nicht, daß wir nicht die Spielregeln kennen würden. Betrachten wir noch einmal die Analogie mit dem Schachspiel. Es sind einfach zu viele Figuren auf dem Brett, als daß wir alle auf einmal genau beobachten könnten.«
Stubbs schüttelte den Kopf.
»In dieser Weise habe ich mir das noch nie überlegt. Mir erschien das immer wie eine simple Reparatur, und ich konnte nicht einsehen, warum das so schwierig sein sollte.«
Mancini grinste.
»Da läßt deine ausgezeichnete Grundschulbildung eben doch zu wünschen übrig. Nun, es dauert noch ein paar Stunden, bis wir bei der Guppy eintreffen, und rund um uns laufen einige Analysen. Wenn ich diese Analysen in Worte kleide, die du verstehen kannst, wirst du vielleicht lernen, warum das Spiel so kompliziert ist, bevor wir die Guppy erreichen. Und vielleicht ...« Sein Gesicht wurde ernst. »Vielleicht wirst du auch verstehen, warum das Spiel so viel Spaß macht, obwohl wir letzten Endes doch die Verlierer sind. Es ist nicht nur, daß unser Leben auf dem Spiel steht. Die Menschheit spielt dieses Spiel schon seit etwa zwei Millionen Jahren, und noch immer leben eine Menge Leute. Komm jetzt.«
Er wandte sich dem Tisch zu, auf den die verschiedenen Analysatoren ihre Resultate gehäuft hatten. Und da Stubbs über umfangreiche Grundkenntnisse der Mathematik und der Chemie verfügte, konnten sie sich in den Termina der Kürzel der wissenschaftlichen Sprache unterhalten. Sie achteten nicht darauf, als die Hauptturbinen der Haifisch beschleunigten und das Schiff sich seinen Weg zwischen den Eisbergen hindurch aus der Gegend suchte, in der die Zeowale Metall sammelten.
Als Winkle das offene Meer erreicht und Ishihara ihm den Weg für volle Fahrt freigegeben hatte, hatten die anderen vier jeden Kontakt mit der Außenwelt verloren. Dandridge spielte mit Farrell Schach, der Molekularmechaniker und sein angehender Lehrling waren in eine Aufgabe vertieft, die ebenso schwierig war wie etwa die, einem Vierzig-Mann-Orchester zu erklären, wie man »Aida« von der Ouvertüre bis zum Schlußakkord ohne Notenvorlage spielt. Und im
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