Extraleben - Trilogie
früher immer literweise reingekippt haben. Weil er es ein bisschen mit dem Magen hat, muss Nick nach jeder fettigen Mahlzeit zu dem Mittelchen greifen, also fast immer. Theoretisch würden die Kalorien unseres Essens ausreichen, um den Rest des Tages einen Highway zu asphaltieren oder nach Gold zu schürfen. Aus schlechtem Gewissen beschließen wir, uns wenigstens im Game Room ein bisschen die Beine zu vertreten. Schon beim Reinkommen haben wir nämlich gesehen, dass unser Sergeant in einer Ecke seines getäfelten Paradieses drei kleine Kostbarkeiten aufgestellt hat: Pole Position II, Metal Slug und Asteroids - allesamt Originalmaschinen in abgewetzten Holzgehäusen. Wie nicht anders zu erwarten, verlieren wir auf hohem Niveau, denn genau wie die Spiele selbst sind auch unsere Reflexe gealtert. Aus Forschungsgründen haben wir uns für den antiken Asteroids , Baujahr 1979, entschieden - und sind sofort begeistert, nachdem der erste Quarter mit einem satten Kling im Münzschacht verschwunden ist. Was für eine unglaubliche, reduzierte Ästhetik, so, als hätte Le Corbusier ein Videospiel programmiert! Anders als der zerkratzte Automat selbst wirkt die Vektorgrafik krisp und neu wie am ersten Tag. Messerscharf zeichnet der Elektronenstrahl die Umrisse der Asteroiden auf den Leuchtfilm des Schwarz-weiß-Fernsehers; die Bewegungen fließen, die Trägheit des Schiffs ist perfekt simuliert. Würde von draußen nicht die helle Wüstensonne reinknallen, könnte man sogar die abgeschossenen Projektile gut erkennen. Das Wenige, was aus dem Lautsprecher kommt, klingt ebenfalls zeitlos perfekt. Immer wenn unser Raumschiff an einem Felsen zerschellt, zittert die Holzkiste unter der dumpfen Explosion. Wir haben reichlich Gelegenheit, diesen Sound zu studieren, denn bis der Vierteldollar, den jedes Spiel kostet, länger als eine halbe Minute vorhält, dauert es verdammt lange. Vorher müssen wir erstmal alle typischen Phasen durchlaufen, die ein neues Spiel dem alternden Hirn abverlangt. Erst kommt das Gekrepel: Man drückt entweder den falschen Knopf oder die richtigen zu oft. Statt in der Mitte des Bildschirms seelenruhig zu ballern, geben wir mit dem Raketenantrieb ständig Vollgas und verwirren so unnötig unsere Augen, weil sich dann ja nicht nur die Asteroiden, sondern auch das eigene Raumschiff bewegt und alles verschwimmt. Dann kommt die Eins-nach-dem-anderen-Phase: Nick schießt so lange auf einen einzelnen Felsbrocken, bis der zerstört ist, und wendet sich dann dem nächsten zu; nach ein paar Minuten merken wir, dass blindes Ballern - wie so oft - einfach besser funktioniert als diese chirurgische Methode. Irgendwann schließlich setzt der Flow ein, diese Zen-mäßige Ruhe, in der Spieler und Spiel verschmelzen: Das Auge beruhigt sich, der Feuerfinger trommelt ganz automatisch auf den Taster, man lässt die Asteroiden auch mal näher rankommen. Kaum hat das Hirn auf Autopilot geschaltet, steigen die Punktzahlen ins Fünfstellige, und der Automat belohnt uns mit dem ersten Bonusschiff. Während der jeweils andere spielt, bleibt genug Zeit, um am Tisch noch einen Schluck Kaffee zu trinken. Nach einer Viertelstunde schließlich treten wir in die letzte Zockphase ein: die Langeweile. Wir werden leichtsinnig, verlieren unnötig Schiffe, lassen uns aus Spaß vor den Riesenbrocken hertreiben oder versuchen mit irgendwelchen Tricks, Bugs im Programm auszunutzen.
»Ich habe gelesen, dass man unendlich lange spielen kann, wenn man bis auf einen großen Klumpen alles abschießt und danach nur noch in der Punkteanzeige am Bildrand auf das UFO wartet«, sagt Nick. Leider leben wir nicht lange genug, um diesen Cheat wirklich auszuprobieren. Irgendwann stehen wir einfach nur noch erschöpft vor dem Kasten und starren auf das Demospiel, mit dem der Prozessor seit einem Vierteljahrhundert Spieler zu ködern versucht. Ich fühle mich wie nach fünf Kilometern Joggen.
»Unglaublich, dass die Leute das damals stundenlang am Stück gespielt haben.«
Als wir auf dem Weg zu unserer Sitzecke an der Theke vorbeikommen, startet unser Gastgeber doch tatsächlich noch ein Gespräch. Das muss wohl im Army-Handbuch für angehende Gastronomen gestanden haben. Jedenfalls versucht der Sarge Konversation zu machen, was dann auch gründlich in die Hose geht. Heraus kommt eines dieser coolen Cowboy-Gespräche, die zum Großteil aus Pausen bestehen.
»Havin' fun?«, fragt der Mann mit dem Bürstenhaarschnitt. Wir nicken. Nick fragt, ob noch viel an den
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