Extraleben - Trilogie
auf der Strecke, höchstens mal eine Kreuzung mit angeschlossener Tankstelle. Oder wir wurden von Onkel Sam angewiesen, keine Anhalter mitzunehmen, weil die Straße mal wieder durch ein Testgelände führt. Von denen hat es in Nevada reichlich; militärische Sperrgebiete jeder Art scheinen so eine Art regionale Spezialität zu sein, allen voran der bekannte Area 51. Doch es gibt noch viel mehr nicht zu entdecken: Alle paar Stunden kündigen Schilder ein neues Missile Range, Bombing Range oder Shooting Range an, wahlweise von der Army, Navy oder Air Force; anscheinend darf hier jeder mal den Boden umgraben. Lustigerweise sind die Bewohner sogar ein bisschen stolz darauf, Zielscheibe der Nation zu sein; in einem Kaff, durch das wir gekommen sind, stand sogar ein aus Holz geschnitzter Tarnkappenbomber auf der Dorfstraße.
»Home of the Stealth« war darunter zu lesen. Neben der hohen Dichte an ultrageheimen und damit ultracoolen Testgeländen gibt es aber noch einen guten Grund, nach Nevada zu fahren. Die Wüstenluft konserviert nicht nur die Körper verendeter Pioniere perfekt, sondern auch Arcade-Automaten; in kaum einem Staat haben wir in Cafés, Waschsalons und Restaurants so viele Schätzchen entdeckt. So auch im Toyabe Café.
»What can I get you guys?“ Der ältere Herr hinter der Theke klingt so zackig, dass man ihm sofort mit »Sir, sandwich, Sir“ antworten möchte. Mit seinem Stoppelhaarschnitt und dem Jeanshemd sieht er aus, als sei dies sein erster Job nach vielen Jahren in der Armee. Doch ein Blick in die freundlichen Augen hinter den Rand seiner Metallbrille verrät, dass der scharfe Ton nicht böse gemeint ist, sondern einfach nur das Produkt eines Lebens auf dem Kasernenhof. Hektisch überfliegen wir die Menükarte im Leuchtkasten hinter ihm: Philly Steak Sandwich mit Zwiebeln, Chili und Käse-Hotdog, Root Beer, Coca-Cola - wohlgemerkt mit Zucker und Koffein; die einschlägigen Diätversionen suche ich vergebens. Es sind wunderbar altmodische Speisen, unangetastet von den kulinarischen Moden der letzten 50 Jahre. Als arme Farmer in den 1930ern aus dem Südosten vor gigantischen Sandstürmen nach Westen flüchteten, haben sie unterwegs wahrscheinlich genau von solchem Essen geträumt. Amerikanische Diner-Küche, fernab von jeder inszenierten Erlebnisgastronomie, ohne Balsamico, herrlich. In dieser Umgebung bringe selbst ich es nicht übers Herz, kalorienarm zu ordern, und entscheide mich für Roastbeef mit brauner Soße - mehr steht über die Sauce wirklich nicht da. Sie ist braun. Nick nimmt den Chili-Dog.
»Corning right up“, verspricht der Ex-Sergeant. Wir lassen uns wie immer in eine Sitzecke fallen. Die Bänke sind mit rotem Kunstleder - Typ Bundesbahn 1985 - bezogen und rundherum mit Holz verkleidet, wie übrigens der ganze Laden, was dem Ort einen gewissen Hobbykeller-Charme verleiht. Die Dekoration zeugt von der angenehm vernachlässigenden Hand eines Mannes. Der Chef kocht hier anscheinend nicht nur selbst, sondern richtet auch selbst ein: Anders lässt es sich wohl nicht erklären, dass an der Wand über unserem Tisch jetzt - im Hochsommer - noch ein Adventskranz hängt, zwischen dessen Plastiknadeln liebevoll ein paar grüne Schrotpatronenhülsen gesteckt wurden. Salz-und Pfefferstreuer sind aus Steingut und haben ebenfalls die Form von überdimensionaler Gewehrmunition, Neben dem Kranz hängt - irgendwie kein Widerspruch - ein bemalter Holzscheit, auf dem in grellen Farben zu sehen ist, wie Jesus sich über einen Bach beugt; anscheinend eine Taufszene. Eine Sitzecke weiter hat sich ein anderer Rentner fallengelassen, der auf das »How are you?« des Restaurantchefs nur »not bad« knurrt und damit das Gespräch auch gleich wieder beendet. Shorty, so hatte ihn der Sarge angesprochen, trägt seine John-Deere-Baseballmütze auf diese unnachahmliche Art, für die man ein amerikanischer Farmer über sechzig sein muss: Die Kappe wirkt, als habe sie der Träger auf dem Kopf nur vorsichtig abgestellt - so groß scheint der Luftraum zwischen Haar und Mützenstoff. Umso tiefer hängen dafür die Taschen an seiner blauen Jeans-Latzhose. Er bestellt Kaffee und Kekse. Unser Essen schmeckt herrlich, zumindest reden wir uns das ein, weil wir es gerne herrlich finden wollen. Allerdings würde es mich nicht wundern, wenn Nick im Auto erst mal einen großen Schluck aus seiner Pulle mit Pepto-Bismol nehmen muss; so heißt das rosafarbene Magenmittel, das sich cholerische Polizeichefs in Fernsehserien
Weitere Kostenlose Bücher