Extraleben
gestrichen, darüber ist alles ordentlich weiß getüncht. Bis auf eine Überwachungskamera unter der Decke deutet nichts auf die Anwesenheit von Menschen hin. Der Raum hat zwei Türen: die eine, durch die ich gekommen bin, und eine zweite Stahltür, die weiter ins Innere der Basis zu führen scheint. Über ihr hängen sogar zwei batteriebetriebene Notscheinwerfer, wie sie auch in amerikanischen Hotelfluren angebracht sind. Auf eine lächerliche Art ist es beruhigend zu wissen, dass sich die Datacorp an Bauvorschriften hält. Nicht, dass das die Lage ändert. Draußen vor der Tür donnern immer noch die Turbinen einer Drohne, die mich verfolgt. Manchmal werden sie kurz leiser, um dann wieder anzuschwellen; das UAV scheint um den Eingang herumzukreisen. Es gibt also nur eine Option - die Flucht nach vorne. Ich taste mich quer durch den Raum bis zur Tür, die weiter ins Innere der Basis führt, und versuche, die Klinke so sachte herunterzudrücken, wie es nur irgendwie geht, als ob der Drücker mit 100000 Volt aufgeladen ist. Das ist natürlich total irrational, denn wenn sich hinter ihr zum Beispiel eine Menschenfalle verbirgt, würde die ja zuschnappen, egal, wie stark die Klinke gedrückt wird. Zentimeter für Zentimeter knarrt die Klinke weiter runter. Bsss! Ein Türsummer! Ich reiße meine Hand blitzschnell zurück. Datacorp is watching, natürlich, die Kamera, man erwartet mich. Bevor mein Mut-Akku wieder aufgeladen ist und ich mich traue, die Klinke erneut anzufassen verstummt der Summer auch schon. Peinlich, ich stehe immer noch vor der geschlossenen Tür. Wie zwei Leute, die versuchen, sich in der Fußgängerzone aus dem Weg zu gehen und immer zur gleichen Seite ausweichen. Also mache ich wieder einen Schritt zurück und strecke die Hand noch einmal demonstrativ zur Klinke aus, damit Mr.X am Kontrollmonitor es garantiert sieht. Wieder ertönt der Summer, ich drücke hastig die Tür auf, stürze voran und stehe - vor einer weiteren Tür. Im Sicherheitsjargon heißt so was, glaube ich, Personenvereinzelungs- Schleuse; der hintere Ausgang geht erst auf, wenn die Eingangstür geschlossen wurde, damit nicht mehr als ein Besucher gleichzeitig rein kann. Mit einem lauten »sschlock« schließt sich die Stahltür hinter mir und sperrt den Lärm der Drohne endgültig aus. Übrig bleibt jetzt nur das Sirren der Neonröhre an der Decke und ein dumpfes Brummen, das von allen Seiten gleichzeitig zu kommen scheint, so, als wäre der Raum von Dieselgeneratoren umgeben. Klarer Fall, ein Taos Hum - noch so eine von Nicks Theorien: Extrem tiefes Geräusch, Frequenz unter 50 Hertz, trat erstmals in der Gegend um Taos/New Mexico auf, mittlerweile auch in Stuttgart zu hören. Von Verschwörungstheoretikern als Indiz für subterrane Geheimanlagen interpretiert, von Wissenschaftlern als Symptom einer Ohrenkrankheit gedeutet. Schätze, die Freaks haben recht. Um nicht wieder als Angsthase dazustehen, drücke ich die Klinke der Ausgangstür jetzt schnell und mit voller Kraft runter. Diesmal gibt es keinen Summer, und ich verlasse die Personenschleuse. Dahinter wartet eine Enttäuschung: Der Gang endet nicht an einem Aufzug, der in ein geheimes Untergeschoss fährt und/ oder mit Falltür ins Piranhabecken ausgestattet ist. Nein, Dr. No käme hier nicht auf seine Kosten. Stattdessen stehe ich in einem engen Treppenhaus, das drei oder vier Stockwerke in die Tiefe führt und genauso gut der Eingang zur Rathaus-Garage in der City sein könnte. Die Stufen sind nicht aus Beton, sondern aus Eisengittern, so dass man den ganzen Weg runter bis zum Boden schauen kann - das wäre nichts für Nick, den Höhenkranken. Eine weitere Videokamera stiert von der Decke herunter; die überlassen wirklich nichts dem Zufall. Vorsichtig taste ich mich die Treppe herunter. Da die einzige Neonröhre oben am Eingang hängt, wird es mit jedem Absatz etwas dunkler, und das freundliche Parkhaus verwandelt sich in ein dunkles Verlies. Ganz unten am Ende der Stufen kann man den Boden nur noch erahnen. Was, wenn jetzt das Licht ganz ausgeht? Eine Schweißperle läuft in den Schnitt an meiner Stirn. Es brennt. Nur noch ein paar Stufen. Klonk, klonk, klonk, ich knicke mit dem rechten Bein um. Mit dem linken kracht mein ganzes Gewicht auf das Gitter; das Scheppern hallt den ganzen Betonschlauch hoch. Ob die auch Ton an der Kamera haben? Die letzte Stufe, endlich wieder fester Boden. Obwohl ich den Ausgang vor mir kaum noch erkennen kann, renne ich darauf zu. Nur noch
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