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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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verbietet das Herumstreunen, keine Kameras verderben die Einsamkeit, nichts. Seltsam, wie sichern die den Perimeter gegen Wochenend-Abenteurer wie mich ab? Hier könnte doch jeder raufmarschieren, sich ein Bein brechen und danach die US-Regierung verklagen. Dann auf einmal taucht Black Ridge II hinter dem Bergkamm auf, wie eine Kathedrale vor wolkenlosem Himmel. Wow, allein für diesen Blick hat sich der Trip schon gelohnt. Schon komisch, dass Nick auf dem ersten Kreuzzug, wo es wirklich was zu sehen gibt, nicht dabei ist. Was aus dem Tal noch wie ein Märklin- Städtchen aussah, ähnelt von Nahem dem Spielplatz eines Riesen: Die Autokinoleinwände sind in Wirklichkeit Troposphären- Antennen, jede so hoch wie ein dreistöckiges Haus, mit denen die Horchposten andere Stationen anfunken konnte, die einen halben Kontinent weg waren. Gleich drei der Dinger stehen am Rand der Station. Ich kann immer noch nicht glauben, dass mich niemand aufhält, und suche sorgfältig vor jedem Schritt den Boden ab. Vielleicht haben die ja Stolperdrähte gespannt oder Ammonium- Detektoren verteilt, wie in Iowa. Erst als ich unbehelligt vor dem Betonsockel einer der Antennen stehe, lässt die Anspannung ein bisschen nach. Ich stelle meine Wasserflasche ab. Unglaublich, dass die Antennen immer noch nicht umgefallen sich, so klapprig, wie sie aussehen. Auf der Rückseite stützt nur ein Stahlskelett die riesigen Schüsseln, das wild durcheinander verstrebt ist wie ein Hochspannungsmast. Die Antennenfläche selbst besteht aus glänzenden Metallplatten, die mit dicken Bolzen zusammengenietet sind und das Sonnenlicht so stark zurückwerfen, dass ich trotz Sonnenbrille die Augen zukneifen muss. Wie ein Tourist vor dem Kölner Dom staune ich zum Himmel hinauf, eine Hand in den Rücken gestützt, die andere als Schutz vorm Gesicht. Nach geheimer Hightech sieht die Funkanlage mit ihren dicken Nieten allerdings nicht aus, eher antiquiert, wie die Brücke von Kapitän Nemos Nautilus. Vielleicht dürfen Sachen hier oben in der Arktis einfach nicht zerbrechlich sein. Von der ganzen Elektronik jedenfalls ist nichts mehr zu sehen; entweder die Rückbauteams haben alles abmontiert oder die Leitungen verlaufen unterirdisch. Von der gigantischen Mikrowellen-Schleuder namens Dew-Line zeugen nur noch ein paar Kabelstränge, die über eine kleine Metallbrücke zu einer der Baracken führen. Anstatt unter den zusammengenieteten T-Trägern durchzugehen, mache ich lieber einen kleinen Bogen, um die Schuppen zu inspizieren. Schwer vorzustellen, dass hier mal jemand gelebt hat. Die Verschläge sehen aus wie diese Unterstände, in denen die Autobahnmeisterei Rollsplitt lagert. Klapprig, mit verbogenen Metallplanken verkleidet und matt grau angestrichen. Fenster gibt es an jeder Seite jeweils nur eines, aber die sind so hoch angebracht, dass man vom Boden aus nichts erkennen kann. Warum wächst hier nichts? Selbst in den windgeschützten Ecken der Baracken ist kein Grashalm zu sehen, nicht mal Flechten, nur Schotter. Haben sie den Boden so mit Gift vollgepumpt. oder ist es hier oben einfach nur zu kalt für Unkraut? Jedenfalls sehen die Gassen zwischen den Baracken wie ein frisch geharkter Zen-Garten aus. Überhaupt macht die Station für ein halbes Jahrhundert arktischer Winterstürme einen erstaunlich guten Eindruck. Hier und da blättert der graue Tarnanstrich zwar ab, in einer Antenne fehlen ein paar Segmente, und von einem Öltank hängen lange Rostbärte herunter; davon abgesehen wirkt alles so einsatzbereit, als könnten in zwei Minuten die Chinook-Helikopter, diese fliegenden Bananen, mit der Winterbesatzung einschweben. Selbst die weiße Landemarkierung zwischen den Baracken leuchtet so hell, als sei sie gerade erst aufgepinselt worden. Ah, endlich liegt mal was rum. Hinter einem der Verschläge schauen ein paar Ölfässer hervor. Es gibt nichts Cooleres als Ölfässer, da waren Nick und ich uns schon immer einig. Das ist wie mit dem Lufthansa-Atlas für die Geschäftsleute: Alles schreit »nichts für Kinder!« - und wird dadurch unermesslich interessant. Ölfässer sind der Inbegriff einer stillgelegten Fabrik, und damit des interessantesten Ortes, den sich ein Zehnjähriger vorstellen kann. Lupinen zwischen Backsteinmauern, ölverschmierte Maschinenteile oder - die Vollendung! - eine rostige Grubenbahn, Kein Wort kann diesen Sex fassen, schon gar nicht »lndustriebrache«. Natürlich ist man irgendwann groß genug, die Sache nüchtern zu sehen. Jeder

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