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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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Bundespost - während das Fußvolk noch mit internationalen Antwortscheinen hantierten musste.« Für Nick sagt sich das natürlich besonders leicht, weil er in Sachen Infotech immer schon Privilegien genoss: Sein Dad arbeitete als Ingenieur bei Bayer, und die Firma stattete ihn immer mit dem neuen Kommunikations-Schnickschnack aus. Er hatte Anfang der Neunziger schon das tragbare S1 von Siemens, als der Rest der Republik noch die kiloschweren Autoklötze von Motorola mit sich rumschleppte. Und da Nicks Vater wusste, wie sehr er mit Technik bei seinem Sohn punkten kann, ließ er ihn all die Gadgets immer mitbenutzen - rein dienstlich natürlich. Irgendwann besuchten wir ihn sogar mal zusammen in seinem Büro. Der Trip war eine seltsame Mischung aus Wirtschaftswunder- Flair und einer ersten Brise Globalisierung: Vor dem Betreten der Fabrik mussten wir einem Herrn vom Werkschutz unsere Rucksäcke zeigen, in den Büros war alles mit Eichenholzpaneelen verkleidet, an denen Fotos von Raffinerien in Deutsch-Südwest hingen, zumindest sah das so aus. Die Kommunikationstechnik dagegen war bei Bayer immer topmodern. Der Grund unseres Besuchs, »Facsimilegerät« oder »Fernkopierer« genannt, thronte auf einem eigens neben dem Schreibtisch aufgestellten Höckerchen. Es allein anzugucken hatte für uns eine sakrale Qualität, vom Bedienen mal ganz abgesehen. Später stand da ein BTX-Terminal. Ich glaube, Nick vermisst nichts mehr als diesen Prestigevorsprung durch Technik: »Mensch, damals gab es echte Exklusivität «, ereifert er sich, »heute kennt doch jeder Himbeertoni ...« Immer wieder schön, Nicks Achtziger-Bonmots. »... schon jede Schraube an einem neuen Gerät, bevor es überhaupt auf den Markt kommt; das ist doch frustrierend.« Was mich an diesem Evergreen vom Mann und seiner Maschine immer wundert, ist, dass Nick es eigentlich gar nicht nötig hätte, in dieser Art von Haste-was-dann-biste-was-Nostalgie zu schwelgen. Er gehörte schon immer zu diesem offenen Typ von Mensch, der angeblich so charakteristisch für das Netz-Zeitalter ist: neugierig, immer bereit zu teilen, wenn es die Sache voranbringt. total fixiert auf das, was jemand geleistet hat, auf Wissen - eben nicht auf Eigentum. Viele sind im Laufe der Zeit gekommen, um seinen beeindruckenden elektronischen Fuhrpark zu sehen - doch geblieben sind die meisten wegen seines Wissens. Ich zumindest. In letzter Zeit allerdings scheint dieser alte Nick ein bisschen auf dem Rückzug zu sein. Oft hat man echt das Gefühl, mit einem alten Mann zu sprechen. Vielleicht liegt es an der Sache mit Sabina oder an unseren Jobs, jedenfalls lodert das alte Feuer einfach nicht mehr in ihm. Die gleiche Energie, die er früher da rein gesteckt hat, Neues zu entdecken, verpulvert er jetzt, um das Alte zu verteidigen. So auch jetzt mal wieder. »Herrschaftswissen - das ist das Wort! Es gibt einfach kein Herrschaftswissen mehr.« Ich versuche, ihn etwas runter zu bringen: »Ja, aber dafür viel mehr Nischenzeugs. von dem du früher nie etwas erfahren hättest.« Ich drehe mich zu ihm um und sehe, dass mein Feuerlöscher wohl mit Benzin gefüllt war. Nicks Wangen röten sich leicht, er kriegt Flecken auf der Stirn; vielleicht sollte er weniger von dieser Mountain Dew -Limo mit 36 Milligramm Koffein pro 100 Milliliter trinken - das ist ein Drittel mehr als in einer normalen Cola! Jedenfalls hat ihn mein Einwand richtig in Rage gebracht. »Genau das ist ja das Problem: Du denkst, den ultimativen Geheimtipp gefunden zu haben, und dann entdeckst du, dass es dazu Hunderte von Foren, Groups, Blogs und weiß-nicht-was- noch gibt. Da habe ich schon keinen Bock mehr, weiter zu machen!« Als vermeintlicher Schöngeist in unserem Duo mit null Fäusten muss ich jetzt wohl Douglas Coupland zitieren: »Also Optionsparalyse: Konfrontiert mit einer überwältigenden Auswahl, verweigert sich der Gen Xer komplett.« »Genau«, sagt Nick, hart an der Grenze zum Schreien, »erinnerst du dich zum Beispiel noch an Xenobots ?« »Dunkel, Altes DOS-Spiel, oder? Da musste man mit so einem roten Skorpion-Roboter erst mal ein Stromnetz bauen, um dann mit anderen Mechas nachrücken zu können«, sage ich. »Richtig. Mann, das habe ich Mitte der Neunziger ta-ge-lang gespielt. Vor ein paar Wochen finde ich das Ding auf einer alten Platte wieder. Und soll ich dir was sagen? Es ist noch genau so cool wie damals. Da sitze ich also, steuere meine Attackbots - ganz locker ohne Maus mit den Tastatur-Shortcuts im

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