Extraleben
Straßenrand zu schicken. Schön. Nur Frauen, die grüßen fast nie. Ein weiteres klares Zeichen dafür, auf dem Dorf angekommen zu sein, ist die Tatsache, dass überhaupt schon Leute unterwegs sind, wenn wir unterwegs sind. An diesem schönen Morgen leuchtet nämlich auf der LED-Uhr unseres Autoradios ein fahles »5:30«. Wegen der Zeitverschiebung sind wir um halb vier mitten in der Nacht wachgeworden. Nick hat die Glotze angemacht, und wir haben noch bis halb fünf Werbung für irgendwelche Penispillen geschaut. Danach sind wir aufgestanden und so lange rumgefahren, bis wir einen Laden gefunden haben, der um die Zeit schon Frühstück serviert. Da wir zu faul sind, unsere inneren Uhren richtig umzustellen, werden wir diesen Rhythmus - wie immer - den Rest der Reise beibehalten. Es ist einfach praktisch, wenn man nirgendwo warten muss und so. Schwierig wird die Sache erst, wenn man nach L.A. kommt und einem um sechs Uhr abends die Augen zufallen, weil man schon so lange auf den Beinen ist. Aber was soll's, das ist eben der Preis der Einsamkeit. Hier im Mittelwesten ist die Zeit ohnehin stehen geblieben. Gäbe es nicht hier und da einen Starbucks, könnte man meinen, Ed Sullivan sei auf Sendung, und dieser verdammte Rock'n'Roll käme gerade in Mode. Trotz zwei voller Tage auf der Straße haben wir bis auf grüßende Autofahrer noch nichts Charmantes entdecken können. Der Staat ist eine effiziente Agrarmaschine. ohne Weite, Prärie oder Seele. Die einzige Abwechslung für das Auge zwischen den Maisfeldern sind Maisfelder mit einer fahrbaren Bewässerungsanlage. Kein Wunder, dass die Kids hier am Wochenende mit ihren Pick-ups die Highways abfahren, um von der Ladefläche aus Briefkästen mit einem Baseballschläger umzuhauen - es gibt einfach nichts anderes zu tun. Ab und an unterbricht ein Kaff die Monotonie, falls hier mehr als 50 Leute leben, sogar mit Ampel. Die Durchfahrt läuft immer gleich ab: Erst kommen die Autohäuser. Saatguthändler, Motels und Fastfood-Ketten. Dann tauchen am Straßenrand die großzügigen McMansions der Stiernacken auf, denen die Autohäuser gehören. Falls gerade Schulferien sind, dreht im Vorgarten ein Teenager auf einem Rasenmäher missmutig seine Runden. Er trägt ein Muscle-Shirt mit dem Maskottchen der lokalen Highschool und hat seine Baseballkappe mit dem Schirm nach hinten aufgesetzt, was Nick regelmäßig mit dem Satz kommentiert: »Irgendwann kommt im Leben eines Mannes der Tag, an dem er den Schirm nach vorne drehen muss.« Wir vermuten, dass der Teenager am Ende der Sommerferien das Geld für einen Ford Pick-up zusammenhaben wird, der so groß ist, dass die Anhängerkupplung in einer anderen Zeitzone liegt. »Oh my god! «, wird seine Freundin quietschen und aus lauter Dankbarkeit darüber, mitfahren zu dürfen, all die bösen Sachen machen, die Debbie oder Jenny mit ihrem Freund schon lange tun. Sie dreht ihr Haar vorne zu einem Pony ein und trägt eine abgeschnittene Jeans. Noch könnte sie es mit ihrer Figur in die Badeanzugausgabe von Sports Illustrated schaffen, doch das wird sich schnell ändern, wenn sie ihre Cheerleader- Karriere nach dem Highschool-Abschluss beendet und zu Wal- Mart an die Kasse wechselt. Aber bis dahin ist noch ein langer, heißer Sommer mit reichlich Gefummel hinter der Sporthalle. Go Tigers! Bulldogs! Groundhogs! Go was auch immer! Und über allem liegt das endlose Summen der Klimaanlagen, die gegen ein gnadenloses Sommerhoch ankämpfen. Goodland, Grainfield oder Corning heißen die Käffer, und wirklich gut sind hier nur zwei Dinge: Steaks - und die Kellnerinnen, die sie bringen. Vor allem die Kellnerinnen. Die Bedienungen im Mittleren Westen haben dieses Mom -Gen: bei denen kriegt man unweigerlich Fantasien vom einfachen Leben, von drei Kindern, einer Hütte in einem bewaldeten Tal, von einem Kombi, dessen Seiten mit Holzimitat verkleidet sind - ein viel zu selten gewordenes Autodekor, wie wir finden. Kurz gesagt: Wer von diesen Ladies bedient wird, möchte wie in einem Song von den Carpenters leben - selbst dann, wenn man eigentlich gar keinen Song von den Carpenters kennt. Wie die Rasen mähenden Quarterbacks sind auch die Kellnerinnen meist um die siebzehn, bedienen nur als Ferienjob, und wenn sie das vorgeschriebene »How are you today?« abspulen, dann klingt das noch echt, so, als ob sie wirklich wissen wollen, wie es einem geht. Nicht wie bei den alten Bedienungen, auf deren Blusen im Schreibschrift Namen wie Martha, Rita oder Louise
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